
Zwischen Wintergarten und Wärmetauscher
An der bayerisch-württembergischen Grenze führt Ernst Linder den Hof seiner Familie mit drei Putenmast- und zwei Aufzuchtställen. Außenklimabereiche, moderne Technik und transparente Haltung prägen seinen Betrieb und schaffen Akzeptanz.
von Vivien Kring Quelle Vivien Kring erschienen am 31.10.2025Es ist ein regnerischer, wolkenverhangener Tag an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Die Landschaft wirkt gedämpft, die Felder glänzen feucht, und ein alter Pick-up wühlt sich durch den aufgeweichten Feldweg. Am Steuer sitzt Ernst Linder. Vom Wohnhaus der Familie sind es nur wenige Hundert Meter bis zu den Putenställen, in denen Aufzucht und Mast stattfinden. Auf der kurzen Fahrt wirkt Linder zugewandt; er lacht oft, und seine auffallend strahlend blauen Augen leuchten, wenn er von seiner Arbeit spricht. Linder ist Hobbyjäger, Trophäen hängen an der Wand seines Hauses – an diesem Tag aber geht es um seinen Betrieb und die Tiere, die hier gehalten werden.
Vom Rinderhof zur Putenmast
Der Hof begann als kleinbäuerlicher Betrieb mit Rinderhaltung im Dorf, aufgebaut von Ernst und Klara Linder – den Eltern von Ernst Linder junior. 1977 ließ Ernst Linder senior den ersten Putenstall bauen, 1982 folgte ein zweiter, 2002 der dritte. Diese drei Mastställe betreibt heute Ernst Linder junior; der Vater hat aber weiterhin gerne ein Auge auf den Betrieb und ist immer noch stellenweise eingespannt. Im Jahr 2011 kamen wenige Meter hinter den Mastställen zwei Aufzuchtställe hinzu. Sie fassen zusammen 20.000 Küken, je 10.000 pro Stall. Die Eintagsküken bezieht Linder von der Brüterei Kartzfehn. Aufgezogen werden ausschließlich männliche Tiere der Rassen B.U.T. 6 und TP7. Die Gründe liegen für ihn auf der Hand: Putenhähne bleiben länger in der Mast, erreichen ein höheres Gewicht, und mit einem Geschlecht lässt sich die Arbeit bündeln, weil die Tiere zeitgleich ihr Schlachtgewicht erreichen und gemeinsam abgegeben werden können. Im Aufzuchtstall bleiben die Hähne von Tag eins bis Woche zehn, danach werden sie in die Mastställe verteilt. Mit etwa 21 Wochen und 20 kg sind die Hähne schlachtreif. Wer zwischen den ausgewachsenen Hähnen durchgeht, merkt ihre Kraft: Ein Rempler gegen die Wade bleibt spürbar.
1 2Aufzucht und Fütterung
Die Fütterung erfolgt gentechnikfrei und rein automatisch nach einem Sechs-Phasen-Futterplan, der in der Aufzucht beginnt und über die Mast weitergeführt wird. Ab Phase vier setzt Linder Ergänzerfutter ein; bis zu 50 % Weizen und Körnermais werden als Beifütterung genutzt. Die Anlage steuert die Phasen und die Mengen nach Plan. Vor zwei Jahren baute Linder Lupinen als Eiweißfutter selbst an, stellte diese Umstellung jedoch wieder ein, weil sie sich nicht lohnte. Die Einstreu besteht aus Hobelspänen, Dinkelspelzen und Dinkelpellets; alles wird zugekauft. Beim Rundgang zeigen sich die Tiere neugierig und stellenweise forsch. Beim Durchgehen der Anlage trägt der Besucher Schutzkleidung; die Nähe der Hähne ist deutlich, ihr Verhalten aufmerksam.
3Technik und Energieeinsparung
Der Start nach dem Einstallen verlangt hohe Temperaturen. In den ersten Tagen liegt die Raumtemperatur im Stall bei 36 °C. Gasstrahler und Gaskanonen erzeugen die Grundwärme, die Erdgasleitung liefert die Basisversorgung. In den Stallgebäuden schichtet sich die Luft; es muss gelüftet werden, um Feuchte und CO2 abzuführen. Dabei ginge ohne Gegensteuerung viel Wärme verloren.
4Linder nutzt zwei Wärmetauscher, die die angesaugte Frischluft mit der warmen Abluft anwärmen. Das spart Heizkosten und nach seinen Angaben bis zu 80 % Erdgas. Den Strom für die Anlage liefert die Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Fütterung läuft vollständig automatisch nach dem Sechs-Phasen-Plan, die Technik wird überwacht, und die Klimaführung kombiniert Lüftung und Wärmerückgewinnung zu einem stabilen Betrieb. Allerdings haben die Wärmetauscher, laut Linder, nicht nur Vorteile. Hohe Investitionskosten und laufende Reinigung und Desinfektion der Technik sei doch ein recht großer zeitlicher Aufwand.
Mastställe mit Außenklimabereich
Eine Besonderheit seines Betriebs sind die Außenklimabereiche, die an allen drei Mastställen angebaut wurden. Die Ställe nennen sich Jalousienställe. Das Prinzip: Ein zusätzlicher Wintergarten schließt sich an den Innenraum an. Durch Gitterflächen kommt frische Luft hinein, zugleich haben die Tiere Sichtkontakt nach draußen. So erleben sie Lichtwechsel, Temperaturschwankungen und Geräusche, die es im geschlossenen Stall nicht gibt.
Die Hähne entscheiden selbst, wo sie sich aufhalten. An kalten Tagen bleiben sie im warmen Innenbereich, bei Sonnenschein zieht es viele nach draußen. Das Verhalten ist dabei klar zu beobachten: Bei Zugluft wechseln sie in den Stall zurück, bei ruhigem Wetter nutzen sie den Wintergarten intensiv. Für Linder ist das ein Vorteil, denn die Abwechslung steigert die Aktivität der Tiere und sorgt für mehr Tierwohl.

Ein weiterer Pluspunkt: Der Außenklimabereich zählt zur Stallfläche. Damit kann Linder das Fleisch in Handelsklasse 3 vermarkten, was ökonomisch ein spürbarer Vorteil ist. Die Idee dafür brachte er von einem Kollegen mit, der im Rahmen eines MuD-Projekts (Modell- und Demonstrationsvorhaben) gearbeitet hatte. 2021 nutzte Linder eine Dachsanierung, um den ersten Stall umzurüsten. Da er sofort gute Erfahrungen machte, folgten die beiden anderen Mastställe in kurzer Zeit. „Es gab keine Nachteile“, sagt er, „die Tiere suchen sich selbst aus, ob sie drinnen oder draußen sein wollen.“
Auch in der Öffentlichkeit kommen die offenen Ställe gut an. Die Gebäude liegen direkt an einem stark frequentierten Radweg. Spaziergänger bleiben häufig stehen, schauen in die Wintergärten und beobachten die neugierigen Putenhähne. Oft ist dann ein aufgeregtes Gluckern im Stall zu hören. Für Linder ist das kein Störfaktor, sondern eine Chance: „Die Leute sehen unmittelbar, wie wir arbeiten. Das schafft Akzeptanz.“
5Bei den Wintergärten sei, trotz all der schönen Seiten, aber auch die Mehrarbeit in Sachen Misten, Reinigen und Desinfizieren genannt. „Es war nicht einfach, an die bestehenden Ställe etwas ,hinzubasteln‘, das den baulichen Anforderungen entspricht und an den bestehenden Stall integriert werden kann“, erzählt Ernst Linder. Die Bau- und Investitionskosten seien nicht zu unterschätzen.
Genehmigungen, Alltag und Ausklang
Bei Genehmigungen für Stallumbauten hatte er bislang keine Schwierigkeiten. In seinem Landkreis verliefen die Verfahren reibungslos, das Landratsamt stand unterstützend an seiner Seite – etwa bei der Umrüstung der bestehenden Mastställe mit Außenklimabereichen. Für Linder ist das nicht selbstverständlich. „Viele Kollegen kämpfen jahrelang mit solchen Anträgen, obwohl die Maßnahmen klar dem Tierwohl dienen würden“, sagt er. Gerade in der Geflügelhaltung sei es entscheidend, dass Behörden praxisnah agieren. Lange Wartezeiten oder ablehnende Entscheidungen führten dazu, dass Betriebe Investitionen scheuten und notwendige Verbesserungen verzögert würden.
Er wünscht sich mehr Einheitlichkeit und Offenheit in den Verfahren. Genehmigungen hängen in Deutschland stark vom jeweiligen Landkreis ab. Während er in Dillingen auf ein kooperatives Amt trifft, erleben Kollegen in anderen Regionen restriktive Vorgaben. Für Linder ist das ein Problem: „Wenn wir wollen, dass Tierhaltung Schritt für Schritt besser wird, brauchen wir Spielräume für Umbauten. Politik und Verwaltung sollten das fördern, statt es auszubremsen.“
Im Alltag teilt sich die Arbeit klar auf. Ernst Linder ist an den Ställen, bei Tieren, Fütterung und Technik; Anja Linder arbeitet im Büro. Sorgen vor der Vogelgrippe hat Linder nicht. „Die Krankheit kam auch schon in geschlossene Anlagen, die dann geräumt werden mussten. Komplett schützen kann man sich davor nicht“, sagt er nüchtern.
Nach der Stallführung geht es zurück ins Wohnhaus. In der Küche wartet ein Puteneintopf, den Anja Linder frisch gekocht hat. Das Fleisch stammt aus eigener Mast, der Geschmack ist kräftig, das Essen nahrhaft. Am Tisch erzählt Ernst Linder lachend von seinem Alltag mit den Tieren. Für ihn ist die Putenmast keine abstrakte Tierproduktion, sondern Familienarbeit, fest verankert in der Region, und getragen von der Überzeugung, dass Fortschritt nur gelingt, wenn er im Stall spürbar wird.
Ernst Linder führt an der bayerisch-württembergischen Grenze einen modernen Putenmastbetrieb mit drei Mast- und zwei Aufzuchtställen. Er zieht ausschließlich männliche Tiere auf, die nach rund 21 Wochen ihr Schlachtgewicht erreichen. Die Fütterung erfolgt gentechnikfrei, vollautomatisch und nach einem Sechs-Phasen-Plan. Zwei Wärmetauscher und eine Photovoltaikanlage ermöglichen bis zu 80 % Erdgaseinsparung, während Gasstrahler für die Grundwärme sorgen. Besonders sind die angebauten Außenklimabereiche, in denen die Tiere selbst wählen, ob sie drinnen oder draußen sein wollen – ein Plus für Tierwohl und Akzeptanz. Linder sieht in transparenter Haltung, moderner Technik und fairen Genehmigungsverfahren den Schlüssel für eine zukunftsfähige Tierhaltung.























