
Interview
Digitale Assistenzsysteme und der Blick in den Geflügelstall – digital vs. real
Digitale Assistenzsysteme für die Geflügelhaltung können eine wertvolle Ergänzung für eine gelungene Produktion sein, wenn die Voraussetzungen stimmen. Welche das sind und warum der Mensch und seine Sinne nach wie vor das wichtigste "Tool" darstellen, darüber sprachen wir mit Silke Schierhold.
von Kathrin Iske, DGS Redaktion erschienen am 04.11.2024
Frau Schierhold, Sie beraten seit vielen Jahren Hähnchen- und Putenmäster in Niedersachsen. Was hat sich hinsichtlich des Einsatzes von digitalen Hilfsmitteln geändert – Stichwort Stallkarte?
Silke Schierhold: Die Digitalisierung gibt es schon länger im landwirtschaftlichen Bereich, egal ob es sich um Lüftungscomputer oder um automatisierte Fütterung handelt.
Beliebt ist heute beispielsweise die Kopplung der Technik im Stall mit dem Handy. So können Tierhalter auch heute schon über das Handy kurzfristig handeln, indem z.?B. die Lüftung angepasst wird. Danach ist allerdings die Anwesenheit des Tierhalters im Stall wieder gefragt – die Technik ersetzt nicht den Menschen!
Die digitale Stallkarte im Masthühnerbereich gibt es ebenfalls seit einigen Jahren. Da, wo es dank einer stabilen Anbindung ans Mobilfunknetz möglich ist, werden sie bereits von einigen Integrationen angeboten. Von den Mästern wird dies gerne genutzt. Der Vorteil einer Cloudbasierten Anwendung liegt klar auf der Hand: Die Daten sind sicher und immer abrufbar – von beiden Seiten (Tierhalter und Integration). Das mag nicht jedem gefallen, dies muss aber jeder Mäster für sich selbst entscheiden.
Die Probleme bei einer digitalen Stallkarte sehe ich eher in der Bedienung durch wechselnde Mitarbeiter. Da gibt es häufig Schwierigkeiten. Dies bezieht sich nicht nur auf die Eingabe, sondern auch auf das Abrufen von Daten.
Können Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen einmal einschätzen, inwieweit digitale Assistenzsysteme zu einer erfolgreichen Mast beitragen?
Zum einen natürlich durch die automatisierten Fehler- bzw. Alarmmeldungen. Hier kann ich heute schon direkt über das Handy tätig werden und einfache Probleme lösen. Wenn wir auf die derzeit laufenden Projekte an verschiedenen Hochschulen schauen, lässt sich z.?B. das Tierverhalten im Stall beobachten: Ich kann beispielsweise erkennen, dass bestimmte Stallbereiche von den Tieren gemieden werden, etwa durch plötzlich entstehende Zugluft oder eine kurzfristig entstandene Leckage, die die Einstreu zu feucht werden lässt. Dies sind Dinge, auf die ich auf alle Fälle durch digitale Assistenzsysteme aufmerksam werde.
Wenn ich als Mäster diese Probleme schnell erkenne und demnach auch behebe, kann ich den Tieren auch zügig mehr Wohlbefinden verschaffen und somit meine Mastergebnisse verbessern. Gesunde und zufriedene Tiere sind gesünder und wachsen entsprechend besser. Natürlich spielt auch das Medium Technik eine Rolle. Die meisten Mäster, die ich kenne, schauen öfter mal kurz aufs Handy, um über eine App oder den mobilen Zugang zu einer Datenbank kurz die Werte des Stallcomputers zu kontrollieren oder einen Blick in den Stall zu werfen. Somit habe ich immer einen guten Überblick und kann schnell reagieren, wenn etwas nicht stimmt.
Auch Arbeitszeiten können in bestimmten Bereichen, wie beim Erkennen von Schwachstellen, eingespart werden. Grundsätzlich lassen sich alle Abweichungen, die das Wohlbefinden der Tiere betreffen oder zu einer Ausnahmesituation führen, die z.?B. eine Panik in der Putenherde auslöst, schnell erkannt und dadurch schnell Abhilfe geschaffen werden.
Man sollte über die ganze Technik hinweg aber nicht das erlernte Wissen und ständige Weiterbilden der Tierhalter und Farmmitarbeiter vergessen. Ich kann nur so gut die Technik beherrschen und mein Handeln darauf hin ausrichten, wie ich es gelernt habe. Ich sollte also genau schauen, wer diese Systeme bedienen soll und vor allem kann. Das System muss so konzipiert sein, dass alle die gleichen Voraussetzungen mitbringen
Was halten Sie von KI-gestützten Anwendungen?
In Sachen Aufstockung und Erweiterung der Digitalisierung tut sich momentan viel auf dem Markt. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde.
Vieles ist aber noch in der Probephase. Es laufen z?.B. mobile Kamerasysteme an der Decke im Stall über den Tieren, um kranke und moribunde Tiere auf Grund der veränderten Körpertemperatur zu analysieren. Fest installierte Kameras analysieren u.?a. die Tierverteilung im Stall. Wenn die Systeme ausgereift und mit Wissen „angefüttert“ sind, können sie bestimmt eine große Hilfe sein. Ich kann wesentlich schneller reagieren und Abhilfe schaffen. Das kann im Endeffekt zu besseren Leistungen der Tiere beitragen und somit auch den monetären Gewinn steigern.
Eine Fortführung wäre das Vernetzen mehrerer Systeme auf vielen Ebenen. Ich meine hiermit z.?B. von der Brüterei über die Mast bis hin zu den Schlachtdaten und somit eine detaillierte Auswertung einzelner Stalleinheiten. Somit lassen sich auch Änderungen im Haltungssystem oder Umbauten der Technik im Stall besser planen.
Wie kann ich als Geflügelhalter herausfinden, ob eine KI oder ein bestimmtes digitales Assistenzsystem für meinen Betrieb geeignet ist?
Ganz wichtig: Das Netz muss funktionieren! Leider sind wir im Außenbereich noch häufig davon ausgeschlossen. Und dann, nicht zu vergessen, meine Affinität zu digitalen Medien – ohne die läuft nichts. Und zu guter Letzt die Kosten dieses Systems. Ein gutes System nützt mir nichts, wenn es mich meinen ganzen Gewinn aus der Mast kostet. Ich denke, dass sich das aber in ein paar Jahren zu Gunsten der Mäster verändern wird.
Was möchten Sie Geflügelhaltern hinsichtlich KI und Digitalisierung noch mitgeben?
Ich finde, soweit es möglich ist, sollten die neuen Techniken, bis hin zur KI, genutzt werden – wenn sie denn praxisreif und bezahlbar sind. In welchem Ausmaß man die Technik einsetzt, muss aber unbedingt betriebsindividuell entschieden werden. Einige Systeme können dem Mäster direkt helfen, andere wiederum dienen eher der Forschung und Erprobung.
Ich kenne Mäster, die alle nur erdenklichen Daten auswerten, weil sie sehr technikaffin sind und die Assistenzsysteme eine wertvolle Unterstützung bedeuten. Andere wiederum haben ein so gutes Gespür für das Tier, das die Digitalisierung einfach eine gute Ergänzung darstellt.
In meine Augen zählen die Sinne des Mästers oder Farmleiters für einen guten Produktionserfolg. Dazu gehören Riechen, Sehen, Hören und auch Schmecken. Das wird ein digitales System nicht so schnell abdecken können – hier kann nur der aufmerksame Tierhalter seine Sinne einschalten, die Situation erfassen und zeitnah eine Lösung finden. Digitale Systeme sind kein Garant für Erfolg im Stall.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Die Fragen stellte Kathrin Iske, DGS Redaktion.
Autor:in
Silke Schierhold
ist Beraterin für die Geflügelhaltung bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
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