
Vom Neben- zum Vollerwerb: Mit mobiler Geflügelhaltung und Schlachtung
Im Erfahrungsbericht erklärt Iris Flentje, wo die Chancen und Grenzen der mobilen Geflügelhaltung und -Schlachtung liegen.
von Iris Flentje erschienen am 05.11.2024Die Lebensweisheit: „Wenn sich die eine Tür schließt, öffnet sich eine neue“, hat sich für unseren Betrieb Ende 2018 bewahrheitet. Nach 10 Jahren Landwirtschaft im Nebenerwerb wollte unser Sohn den Betrieb wieder in den Vollerwerb führen und dazu einen konventionellen Hähnchenmaststall mit 40.000 Mastplätzen bauen. Während der Bauantragsphase 2017 wurden alle Nachbarn informiert und beteiligt. Im Frühjahr 2018 erfolgte die Baugenehmigung durch den Landkreis – anschließend begann für uns als Familie eine schwere Zeit. Einige unserer Nachbarn bildeten eine Bürgerinitiative, die bis heute, ganze sechseinhalb Jahre später, noch immer gegen diese Baugenehmigung klagt.
Im Dezember 2018 haben wir beschlossen, einen anderen Weg auszuprobieren. Der Gedanke, neben dem konventionellen Stall auch einen Mobilstall mit Weidehaltung für Hähnchen zu betreiben, hatten wir schon länger. Die Idee dahinter war, dem Verbraucher zu zeigen: Wenn diese Freilandhaltung gewünscht wird, setzen wir sie um – mit der notwendigen Konsequenz, dass das Kilogramm Hähnchenfleisch nicht 3 bis 4 Euro wie aus der konventionellen Stallhaltung, sondern 9 bis 10 Euro kostet.
Angebote für Mobilställe wurden eingeholt und sehr schnell wieder zur Seite gelegt, weil uns diese mit 20.000 bis 25.000 Euro für 200 bis 250 Tiere sehr kostenintensiv erschienen. Es gab bis dahin ja noch keinen Absatzmarkt. Die Wahl fiel stattdessen auf ausgediente Kühlanhänger. Diese waren isoliert und mussten nur noch umgebaut werden. Ideen zum Umbau waren schnell konkret, da wir uns verschiedene Mobilställe angeschaut hatten.

Der erste Kühlanhänger wurde im Januar 2019 gekauft und nach Umbau Ende April in Betrieb genommen. Der Wagen wurde mit Eingangstür, Fenster, Lüftung, Heizung, Wassertank mit Nippeltränken, Futterautomaten, einem Ausgang mit Jalousie und einer Rampe für die Tiere versehen. Mit ca 15 m² Grundfläche bietet der Mobilstall Platz für ca. 200 Hähnchen. Im gleichen Sommer kamen zwei weitere Mobilställe aus Kühlanhängern und im Jahr darauf drei weitere dazu, sodass wir heute sechs Mobilställe mit 1.200 Stallplätzen betreiben. Mittlerweile ist jeder Stall mit einem 600-kg-Futtersilo und einer Spiralfütterung ausgerüstet worden.
Küken werden maisbetont gefüttert
Die Küken werden im Alter von drei Wochen zugekauft, mit einer maisbetonten Futtermischung gefüttert und im Alter von 9 bis 11 Wochen geschlachtet. Sie haben dann ein Lebendgewicht von 3,2 bis 3,8 kg. Die ersten zehn Tage nach der Einstallung bleiben sie noch im Stall. Sobald das Gefieder voll ausgebildet ist und die Tiere zuverlässig vor der Witterung schützt, öffnen sich morgens die Jalousien und die Hähnchen bewegen sich gerne ins Freie. Die Ställe werden mit Dinkelspelzengranulat und Strohmehl eingestreut. Wir stallen pro Durchgang immer 400 Küken in zwei Mobilställe ein, so haben wir drei Altersgruppen im Bestand. Im Jahr werden rund fünf Durchgänge gemästet. Nach jedem Durchgang werden die Mobilställe entmistet, gewaschen, desinfiziert und an einen neuen Platz in der Weide gestellt.
Geschlachtet wird einmal pro Woche. Somit können wir immer frische Ware liefern. Unsere Kunden sind zum großen Teil Privatkunden, aber auch Wiederverkäufer und Restaurants. Die Vorbestellung findet fast ausschließlich über einen Messengerdienst auf dem Smartphone statt. Schlachttag ist der Mittwoch. So müssen unsere Kunden bis dienstags um 17 Uhr die Ware bestellen, danach legen wir die Anzahl der zu schlachtenden Tiere fest. Diese werden jeden Dienstagabend in Transportkisten verladen und von der Weide ca. 200 Meter weiter zu unserem Schlachtmobil gebracht. Nach dem Schlachten am Mittwoch werden die Tiere im Kühlanhänger auf 4°C heruntergekühlt und donnerstags zerlegt, verpackt, kommissioniert und ausgeliefert bzw. abgeholt.
1Die Hähnchen werden als ganze und halbe Schlachtkörper, aber auch zerlegt als Brust, Schenkel und Wings angeboten. Zur Grillzeit gibt es außerdem fertig gewürztes Grillfleisch und Geflügelbratwurst.
Seit 2021 wird selbst und mobil geschlachtet
Nachdem wir zunächst unsere Tiere im Lohn schlachten ließen, haben wir uns 2021 dazu entschieden, das Schlachten selber zu übernehmen. Ein Schlachthaus hätte neben einer Baugenehmigung auch zahlreiche weiteren Auflagen mit sich gebracht. Daher fiel die Entscheidung auf ein Schlachtmobil, das wir uns zuvor angesehen haben. Für die Dienstleistung Schlachten haben wir im Jahr rund 20.000 Euro bezahlt. In das Schlachtmobil mit allem Zubehör haben wir ca. 55.000 Euro investiert, sodass sich diese Anschaffung unter Berücksichtigung unserer Arbeitszeit bei Schlachtung unseres eigenen Geflügels nach ungefähr fünf Jahren amortisiert. Seit 2022 bieten wir die Dienstleistung mobiles Schlachten an. In diesem Zuge wurden 1,5 Fremdarbeitskräfte eingestellt. Aktuell haben wir neben den 50 Schlachttagen für unsere eigenen Tiere etwa 50 bis 70 weitere Schlachttage im Jahr, an denen wir als Dienstleister fremde Tiere schlachten.
Das Schlachtmobil verfügt über eine elektrische Betäubung, einen Brühkessel und eine Rupfmaschine. Wenn die Tiere maschinell gerupft sind, entfernen wir die Füße und den Kopf, bevor sie ausgenommen werden. Das grobe Ausnehmen erfolgt entweder per Hand oder mit einer Ausweidegabel. Danach werden die Tiere mit einer Lungensaugpistole ausgesogen, gewaschen und auf ein Abtropfgerüst gehängt. Auf das Abtropfgerüst passen 50 Hähnchen, die anschließend in Fleischkisten verpackt und in den Kühlanhänger gestellt werden.
In 35 Minuten von Betäubung bis Kühlung
Vom Zeitpunkt der Betäubung bis zu dem Moment, in dem die fertigen Schlachtkörper in der Kühlung sind, vergehen 30 bis 35 Minuten. Wenn wir im Schlachtmobil zu dritt arbeiten, schlachten wir 70 bis 80 Hähnchen je Stunde. Die Vorbereitung des Schlachtmobils dauert etwa 20 min, die Reinigung im Anschluss ca. eine Stunde.
Folgende Voraussetzungen müssen für die Schlachtung im Schlachtmobil erfüllt sein: – Alle Mitarbeiter benötigen einen Sachkundenachweis für das Betäuben und Töten von Geflügel; – es muss eine fachgerechte Entsorgung der Schlachtabfälle gewährleistet sein; – Durchführung einer Lebendkontrolle der Tiere durch das Veterinäramt; – Waschwasser darf z. B. in die Kanalisation oder Gülle eingeleitet werden; – Veterinäramt muss über das Schlachten informiert werden; – Infektionsschutzbelehrung der Mitarbeitenden gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz muss gewährleistet sein.
2Chancen: Hohe Akzeptanz beim Kunden
Die Chancen der mobilen Haltung und Schlachtung von Geflügel sind definitiv gegeben. Eine Mobilhaltung mit Auslauf der Masthähnchen ist eine Haltungsform, die auf eine große Akzeptanz beim Verbraucher stößt. Die Produktion ist sehr transparent und ganz einfach erlebbarer. Die Bereitschaft, für diese Produkte einen höheren Preis zu zahlen, ist bei vielen Kunden vorhanden. Wir erleben eine deutlich spürbare und auch ausgesprochene Wertschätzung unserer Arbeit.
Der Arbeitsaufwand für unsere sechs Mobilställe ohne Schlachtung und Verarbeitung beträgt täglich im Schnitt 1,5 Std, die bei einer Vollkostenrechnung mit knapp 40 Euro pro Stunde bezahlt werden. Zudem können wir durch die kleinen Produktionseinheiten und die eigene Schlachtung sehr flexibel agieren und reagieren. Die Auflagen für eine mobile Schlachtung sind im Vergleich zur denen für Schlachthäuser wesentlich geringer. Durch die Schlachtung vor Ort ersparen wir den Tieren den Transportstress und uns den Aufwand. Mit der mobilen Haltung und Schlachtung ist eine Betriebserweiterung oder Aufbau eines neuen Betriebszweiges ohne aufwendiges Baugenehmigungsverfahren möglich. Und wenn es Gründe gibt, die die Aufgabe dieses Betriebszweiges notwendig machen, kann man alles was Räder hat wesentlich einfacher veräußern.
Grenzen: Mengen und Technisierungsgrad eingeschränkt
Grenzen bestehen hinsichtlich der Größe. Mit einer mobilen Schlachtung dürfen pro Betrieb und Jahr maximal 10.000 Tiere geschlachtet werden, pro Schlachttag liegt die Grenze bei maximal 900 Tieren. Mit dem Schlachtmobil dürfen wir auf jedem Betrieb nur die Tiere ebendieses Betriebes schlachten und keine Fremdtiere. Der Aufwand für die Schlachtung lohnt sich erst ab einer Stückzahl von 100 Hähnchen oder Hühner, bzw. 80 Gänsen oder Enten, da die Rüst- und Reinigungszeiten die gleichen sind. Eine EU-Zulassung für Schlachtmobil ist nur schwer realisierbar, daher ist z. B. eine Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel wie Edeka oder Rewe nicht möglich.
Sowohl die mobile Haltung als auch Schlachtung erfordert im Vergleich zur Stallhaltung wesentlich mehr Handarbeit, die sich nur begrenzt technisieren lässt. Die Aufstallpflicht bei Seuchen, der Umgang mit Verlusten durch Greifvögel oder andere Tiere gehören ebenso wie die Nässe des letzten Winters zu den Herausforderungen. Für uns als Familie und Unternehmen ist diese Form der Haltung, Schlachtung und Direktvermarktung zu einem wesentlich Standbein des Betriebes geworden, das wir nicht mehr missen möchten.