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Interview

"Potenzial landwirtschaftlicher Biomasse nicht unterschätzen"

Mit der dritten Novellierung der RED (Renewable Energy Directive III) möchte die EU die Nutzung erneuerbarer Energien weiter steigern und Treibhausgasemissionen verringern. Doch die Preise für die THG-Quoten und damit die Vergütung für die landwirtschaftliche Biogasproduktion sind stark gesunken. Wie geht es nun weiter?

Veröffentlicht am
Felix Colsman ist diplomierter Betriebswirt und seit 2016 als CEO für die DAH Gruppe tätig.
Felix Colsman ist diplomierter Betriebswirt und seit 2016 als CEO für die DAH Gruppe tätig.DAH Gruppe
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DGS: Lieber Herr Colsman, genau vor einem Jahr hatten wir uns schon einmal für ein Interview getroffen und konnten die doppelte Monetarisierung des Wirtschaftsdüngers anpreisen. Nun hat sich die Marktlage für die Biogasproduktion grundlegend geändert. Würden Sie uns kurz erklären, wie das zustande gekommen ist?

Felix Colsman: Mit der doppelten Monetarisierung von Wirtschaftsdünger ist gemeint, dass ein Geflügelwirt den Energiewert und den Düngewert seines Geflügelmists bezahlt bekommt. Das funktioniert nach wie vor. Hühnertrockenkot (HTK) zu verkaufen, lohnt sich weiterhin für die Landwirte. Allerdings hat sich die Preisdynamik seit vergangenem Jahr völlig verändert, weil zum einen der Düngerpreis um 50 % gefallen ist und sich zum anderen auch die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) aus verschiedenen Gründen halbiert hat.
Hinzu kommt, dass sich der LNG-Markt (LNG, englisch: liquefied natural gas) durch Veränderungen in der Regulatorik langsamer entwickelt, als zunächst prognostiziert.

Lassen Sie uns kurz die Grundlagen für die THG-Quoten-Bemessung und deren Preisfindung erklären. Welche Faktoren beeinflussen die THG-Quote?

Die Treibhausgasminderungsquote muss der Inverkehrbringer von fossilen Kraftstoffen nachweisen. Für den Nachweis kann er THG-Quoten verschiedener Herkunft nutzen, wie zum Beispiel den Einsatz biogener Kraftstoffe, von Biomethan oder von gebrauchtem Frittierfett.

Diese Alternativen stehen preislich zueinander in Konkurrenz. Das Angebot ist im laufenden Jahr stark durch Importe von Frittierfetten aus Asien ausgeweitet worden. Außerdem stockt es auf der Absatzseite, weil sich die Nachfrage nach Bio-LNG für Lkws langsamer entwickelt: Projekte zur Verflüssigung von Biomethan zu Bio-LNG haben sich verzögert und somit bleibt LNG gegenüber Diesel nach wie vor teurer. Da wurden die wenigen LNG-Lkws, die es gibt, auch noch stehen gelassen. Der Aufbau der LNG-Lasterflotte hat durch die Verwerfungen am LNG-Markt also eine unerwartete Delle erlitten.

Zur Person 

Felix Colsman, CEO der DAH Gruppe

Felix Colsman, 53, ist Diplom-Kaufmann und hat einen MBA von INSEAD in Fontainebleau. Nach Stationen bei der Boston Consulting Group, Minimax und Johnson Controls hat er seit 2016 als CEO die DAH Gruppe aufgebaut.

Die DAH Gruppe ist ein integriertes Energieunternehmen mit etwa 400 Mitarbeitern, das Gas, Strom und Wärme aus regenerativen Energieträgern erzeugt. Das Unternehmen mit Hauptsitz im brandenburgischen Oranienburg bewirtschaftet mehr als 20.000 ha Agrarflächen und betreibt 22 Biogasanlagen in einem Umkreis von rund 200 km um Berlin. Überdies entwickelt die DAH Gruppe großflächige Photovoltaikanlagen und betreibt Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.

In welchem Zusammenhang steht die THG-Quote mit der Vergütung von Wirtschaftsdünger aus landwirtschaftlicher Produktion?

Für uns sind zwei Elemente wichtig: Wir schauen den Düngerwert an und den Gas- bzw. THG-Wert; wenn eine hohe Quote gezahlt wird, kann ein guter Preis bis zum Hühnerstall durchgereicht werden. Oder anders gesagt: Ist die Quote gut, entsteht ein Wert, von dem die gesamte Wertschöpfungskette profitieren kann.

Die THG-Quotenpreise fielen im Laufe des Jahres kontinuierlich auf nun 180 Euro pro Tonne Kohlendioxid (CO2) und haben sich damit mehr als halbiert. Lohnt es sich noch für Landwirte, ihren HTK zu verkaufen bzw. worauf sollten sie dabei achten?

Ja, es lohnt sich definitiv noch. Klar ist aber: Die THG-Quote hat sich halbiert. Der HTK-Preis ist von etwa 120 Euro pro Tonne auf 30 Euro pro Tonne gefallen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette fallen seit diesem Jahr höhere Kosten an, die zunächst gedeckt werden müssen – beispielsweise bei der Gasgewinnung und -verflüssigung oder beim Transport an die Tankstelle. Bei der heutigen Konstellation hat sich der HTK-Preis also um ein Viertel gegenüber den Spitzenpreisen vom letzten Jahr reduziert. Wir sollten uns aber auch in Erinnerung rufen, dass der Hühnerstallbetreiber früher Geld investieren musste, um seinen HTK loszuwerden. Jetzt bekommt er immer noch gutes Geld dafür.

Wie sehen Sie in die Zukunft, wie wird sich der Markt entwickeln?

Wir blicken zuversichtlich nach vorne. Mit den kommenden Verflüssigungsanlagen wird die Verfügbarkeit von Bio-LNG steigen – der Preis wird sich dann am Dieselpreis orientieren können. Damit werden diese Fahrzeuge kostengünstiger zu betreiben sein als mit Diesel betriebene Fahrzeuge. Damit erwarten wir eine stärkere Nachfrage nach LNG-Lkws. Und mit Blick auf die Landwirtschaft sehen wir ebenfalls eine steigende Nachfrage, denn auf der Agritechnika wird der Vorserien-Prototyp eines LNG-Traktors vorgestellt. Auch hier wird sich in naher Zukunft einiges tun.

Was würden Sie Landwirten raten?

Ich rate jedem Hühnerstallbetreiber, eine für alle Beteiligten sinnvolle Dreieckskonstellation aus Hühnerstall, Biogasanlage und Ackerbaubetrieb zu bilden. Die Doppelmonetarisierung wird auch weiterhin funktionieren und der Landwirt bekommt hochwertigen Dünger für seine Flächen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Anja Nährig, Redaktion DGS, Berlin

 

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Die EU-Richtlinien für erneuerbare Energien (RED II/III)

Zur Erreichung der EU-Klimaschutzziele 2030 hatte die EU mit der Richtlinie 2018/2001 (Renewable Energy Directive II – RED II) eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch vorgeschrieben. Für den Straßen- und Schienenverkehr gilt nach § 25 der Richtlinie eine Mindestquote von 14 % erneuerbarer Energien, die durch eine Verpflichtung der Inverkehrbringer von Kraftstoffen für jeden EU-Mitgliedsstaat bis 2030 zu erreichen ist. Dafür wird eine Mindestquote an fortschrittlichen Biokraftstoffen vorgeschrieben.

In Deutschland werden die Vorgaben der RED II wie schon bei der vorangegangenen Richtlinie (RED I) von 2009 über Änderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der nachgelagerten Verordnung (BImSchV) umgesetzt. Dabei müssen die Inverkehrbringer von Kraftstoffen selbst keine Mengenquote für erneuerbare Energien, jedoch eine Treibhausgasminderungs-Quote (THG-Quote) erfüllen.

Weitere wesentliche Änderungen in der RED II sind:

  • eine Begrenzung der Anrechnung von Biokraftstoffen aus Nahrungs- oder Futtermittelpflanzen auf die THG-Quote (etwa die heute bereits auf die THG-Quote angerechneten Mengen)
  • eine schrittweise Anhebung der Unterquote von fortschrittlichen Biokraftstoffen (aus Rest- und Abfallstoffen) von 0,1 auf bis 2,6 % in 2030 und dessen doppelte Anrechnung auf die THG-Quote bei Übererfüllung der Unterquote
  • eine dreifache Anrechnung der THG-Quoten aus Ladestrom
  • die Betreiber der Ladepunkte (vom gewerblichen bis zum privaten E-Mobilisten) werden anstelle der Stromlieferanten neue Quotenerfüller
  • eine Anhebung der Strafzahlung für quotenverpflichtete Unternehmen bei Nichterfüllung der THG-Quote: von 470 auf 600 Euro pro t CO2

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hatten weiter im Juni 2023 einer umfassenden Neugestaltung der EU-Erneuerbaren-Richtlinie (RED III) zugestimmt. Das europäische Ziel für erneuerbare Energien wird damit von bisher 32 % auf 45 % in 2030 deutlich angehoben. Das bedeutet, eine Verdoppelung des Anteils erneuerbarer Energien gegenüber dem erreichten Stand in 2021 von knapp 22 %. Für die neuen Ziele werden in der EU jedes Jahr mehr als 100 GW an neuen Windrädern und Solaranlagen installiert.

Für Deutschland heißt das, dass die in 2022 stark erhöhten Ausbauziele für Wind- und Solarenergie durch europäische Vorgaben untermauert und verbindlich werden. Die höheren EU-Ziele bilden außerdem den Rahmen für weitergehende Maßnahmen und Ziele in der EU, beispielsweise die Solarstrategie der EU, die ungefähr eine Verdreifachung der PV-Kapazität bis 2030 auf 600 GW vorsieht.

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