
Putenhalter setzen auf einheitliche EU-Standards
Im Rahmen den NRW-Geflügeltags auf dem Versuchs- und Bildungszentrum der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Haus Düsse, gab Bettina Gräfin von Spee einen Überblick über die aktuelle Situation der Putenhaltung in Deutschland.
von Annegret Keulen erschienen am 12.05.2025Wo steht die Putenhaltung in Deutschland? Einen Überblick über die aktuelle Situation gab Bettina Gräfin von Spee, Vizepräsidentin des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft und Vorsitzende des Verbands Deutscher Putenerzeuger (VDP) im Rahmen des NRW-Geflügeltags am 5. Mai 2025 auf Haus Düsse. Die Putenhalterin aus Bocholt-Stenern forderte europaweit einheitliche Rahmenbedingungen für die Branche. Einen nationalen Alleingang, den der ehemalige Bundeslandwirtschaftminister Cem Özdemir seinerzeit initiiert hatte, lehnte die VDP-Vorsitzende strikt ab. Stattdessen begrüßte sie die Bestrebungen in der EU, zu europaweit gültigen Haltungsvorschriften zu kommen.

Bundeseinheitliche Eckwerte als Entscheidungsgrundlage
So habe die EU-Kommission die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit einer wissenschaftlichen Studie – als Vorbereitung einer europaweiten Regelung – beauftragt. „Mitarbeiter der EFSA haben sich zwischenzeitlich auch in Deutschland die gesamte Produktionskette angeschaut“, berichtete die Referentin. In punkto Tierwohl hätten die deutschen Putenhalter bereits 2013 selbst die Initiative ergriffen, und mit den Bundeseinheitlichen Eckwerten eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Haltung von Puten vereinbart. „Diese Eckwerte werden von den Behörden immer wieder als Entscheidungsgrundlage herangezogen, sodass sie mittlerweile einen rechtsähnlichen Charakter haben“, erläuterte Gräfin von Spee. „Grundsätzlich befürworten wir Putenhalter einen freien Markt, und wir verlangen nicht nach einer staatlichen Förderung“, konstatierte sie.
Offenstallhaltung birgt Risiken
Rund 90 % der Putenhalter in Deutschland beteiligten sich an der Initiative Tierwohl (ITW). Die Putenmäster seien grundsätzlich in der Lage, Tiere aus den Haltungsstufen Eins, Zwei und Drei anzubieten. Puten würden zumeist in Offenställen gehalten, bei denen sich auch Haltungsstufe Drei gut umsetzen ließe.
Die bei der Putenmast übliche Offenstallhaltung erhöhe allerdings auch das Risiko eines Erregereintrags, zum Beispiel bei der Geflügelpest. Auch wenn Putenhaltungen in Deutschland aktuell weniger von Seuchenausbrüchen betroffen seien, zeigten sich die Putenhalter besonders wachsam. So nutzten sie die AI-Risikoampel der Universität Vechta und arbeiteten mit der Biosicherheits-Checkliste, die der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) gemeinsam mit dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) konzipiert hat. Darüber hinaus beteiligen sich Betriebe, die im Umkreis von zehn Kilometern um einen Geflügelpest-Ausbruchsort liegen, am Tränkewassermonitoring, um einen Seuchenausbruch in ihrem eigenen Bestand frühzeitig zu erkennen.
KI als Superkraft?
Veränderungen des Tierverhaltens frühzeitig erkennen, interpretieren und entsprechend handeln: Auch das verbessert das Tierwohl und gleichzeitig den ökonomischen Erfolg. Philipp Beckhove, Masthühnerhalter aus Senden und Vorsitzender des Bundesverbandes bäuerlicher Hähnchenerzeuger e. V. (BVH) setzt seit dreieinhalb Jahren ein KI-basiertes System zur Überwachung des Tierverhaltens im Hühnermaststall ein. In dem 100 m langen Gebäude zeichnen 48 Kameras rund um die Uhr das Verhalten und die Verteilung der Tiere auf der Fläche auf. Ein KI-basiertes Programm liefert täglich zusammenfassende Stallübersichten und Handlungsempfehlungen.
Je nach Verteilung der Tiere im Stall hilft das Programm zum Beispiel dabei, undichte Stellen an Toren oder Klappen zu identifizieren oder eine suboptimale Einstellung der Lüftung oder Heizung zu erkennen. „Da das System auch nachts aktiv ist, sieht man Zugluft und Kaltlufteinträge, die bei großen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht auftreten und kann dann ganz gezielt kleine, aber wirkungsvolle Veränderungen an der Stalltechnik vornehmen“, berichtete der Betriebsleiter. Darüber hinaus findet die KI auch verendete Tiere und markiert deren Standort auf den erzeugten Stallübersichten, sodass die Tierkörper schnell gefunden werden.

Bisher habe sich das System als sehr robust erwiesen. Von den 48 Kameras musste noch keine ersetzt werden, berichtete der Referent. Für eine positive Entwicklung hat das KI-basierte System des deutschen Startups Vetvise auch bei den Mitarbeitenden und Auszubildenden geführt: „Seitdem wir morgens das Bildmaterial und die Handlungsempfehlungen des Systems besprechen, denken alle viel mehr mit“, hat der Betriebsleiter festgestellt. „Die KI wird auch in Zukunft nicht die Landwirte ersetzten, aber sie verleiht ihnen vielleicht Superkräfte“, lautete das Fazit des Geflügelhalters.
Europaweites Wissen für die Hühnermast
Tierwohl, Umwelt und Nachhaltigkeit stehen auch im Zentrum des europäischen Projekts BroilerNet, das Projektkoordinatorin Dr. Julia Malchow vorstellte. An dem Forschungs- und Innovationsprogramm beteiligen sich 13 Länder in Europa. BroilerNet zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit des europäischen Broilersektors zu stärken. Das Projekt soll Raum für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis schaffen und die Akteure auf nationaler und internationaler Ebene vernetzen.
Ein wichtiges Ziel ist darüber hinaus die Sammlung von praxisreifen innovativen „Good Practices“ für die Anwendung im Praxisbetrieb. Beispielsweise wurde das von der Uni Vechta entwickelte Online-Risikobewertungstool für den Eintrag der Aviärer Influenza im eigenen Betrieb, als Champion der Good Practices im Bereich Tiergesundheit ausgezeichnet. Beim Thema „Verbesserung der Tierwohlbewertung“ konnte eine von den französischen Kollegen vorgestellte App zur Selbsteinschätzung des Tierwohls überzeugen. Den am besten bewerteten Good Practice-Ansatz zur Verringerung der Belastung beim Fangen lieferten die Fachkolleginnen und Kollegen aus Griechenland. „Diese Best Practices sind nicht immer wissenschaftlich überprüft, aber sie funktionieren gut in der Praxis“, erläuterte die Referentin. Für die Champions unter den Good Practices erfolge außerdem eine Kostenanalyse.
Öffentliche Berichterstattung besser als gedacht
Als ehemalige Redakteurin des Landwirtschaftsmagazins top agrar und derzeit Redakteurin der Frankfurter Allgemeine Zeitung kennt Anne Kokenbrink beide Seiten: die der Landwirte, und die ihrer Kolleginnen und Kollegen von der Tagespresse, die in der Regel keinen landwirtschaftlichen Hintergrund besitzen. Sie griffen daher häufig landwirtschaftliche Skandalthemen auf, die Nichtregierungsorganisationen, wie Peta, Vier Pfoten etc. mit starker und professioneller Bildsprache setzten.
„Journalisten sind auch dazu da, Missstände aufzudecken. Sie sind nicht dazu da, die Landwirte zu schützen. Die Landwirte gehen dann oft in Deckung, statt offen und selbstbewusst zu kommunizieren und die Herausforderungen und mögliche Lösungswege zu erläutern“, so die Erfahrung der Journalistin. Zu einer offenen und ehrlichen Kommunikation gehöre auch, dass die Landwirte, die auf einen Verbesserungsbedarf in ihrer Branche aufmerksam machten, nicht als „Nestbeschmutzer“ tituliert würden.

Als weiteres Problem, das die Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Presse erschwert, nannte die FAZ-Redakteurin eine verzerrte Wahrnehmung vieler Betriebsleiter: „Häufig verstehen Landwirte sachliche Kritik als missachtende oder beleidigende Aussage“, erläuterte sie. Dabei ist die Berichterstattung über die Branche besser als gedacht. Das hat zumindest eine Auswertung der Hochschule Osnabrück aus 1.600 Tageszeitungsartikeln ergeben, deren Ergebnisse die Referentin folgendermaßen zusammenfasste. Demnach enthielten die Artikel nur in wenigen Fällen missachtende Aussagen, wie etwa den Begriff „Massentierhaltung“. Darüber hinaus war die Kritik an der landwirtschaftlichen Praxis thematisch an Sachverhalten orientiert. Häufig kamen Landwirte auch selbst zu Wort.