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Aviäre Influenza bei Zuchtgänsen

Schöne Bilder gibt es nicht umsonst

Die Geflügelpest wütete im Winter 2020/21 in Deutschland so schlimm wie noch nie. Den Schaden bekommen die Gänsehalter, die mit der Weidehaltung ihrer Tiere auch dem Image der Geflügelhaltung dienen, nur geringfügig erstattet.
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 Lorenz Eskildsen.
Lorenz Eskildsen. ZDG
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DGS: Wann traten die Vogelgrippe-Fälle auf Ihren jeweiligen Betrieben auf?

Lorenz Eskildsen: Am 22. Dezember 2020 trat die Vogelgrippe bei uns am Standort in Wermsdorf auf.

Iris Tapphorn: Ich war die Vorletzte von den Gänseleuten. Mein Zuchtgänsebestand mit insgesamt 2.500 Tieren wurde am 19. März 2021 gekeult.

Wie haben Sie gemerkt, dass Ihr Betrieb betroffen ist?

Eskildsen: Wir als Betriebsinhaber wissen oder spüren, womit wir es zu tun haben, weil wir täglich Umgang mit den Tieren haben und befürchten das Schlimmste. Von der Probenahme bis zum Untersuchungsergebnis ist das eine sehr aufregende Zeit, und wenn das Ergebnis vorliegt, werden uns alle Entscheidungen aus der Hand genommen.

Tapphorn: Ich ahnte es, als ich am 17. März abends ins Bett ging, meine Gänse gefielen mir an dem Tag schon nicht. Am nächsten Morgen habe ich noch das Geburtstagsfrühstück für meinen Sohn hergerichtet, wir haben Happy Birthday gesungen und danach bin ich zum Stall gegangen. So lange habe ich noch nie gebraucht, um die Stalltür aufzuziehen. Wie Lorenz schon sagte: Wenn man seine Tiere sieht, dann weiß man Bescheid.

Wie laufen die weiteren Schritte ab?

Eskildsen: Ist der Fall einmal klar, bleibt keine Zeit für Emotionen. Die Situation muss man akzeptieren. Im gegenseitigen Einvernehmen mit der Behörde wird der Tierseuchenfall abgearbeitet. In den neuen Bundesländern bekommt man als Tierhalter genau gesagt, was wann getan wird. Das jeweilige Bundesland hat die Verträge mit Tötungsfirmen, die kommen und gehen genau nach Plan vor. In Mutzschen wurden 10.000 Zuchttiere, auf dem Betrieb in Schleswig-Holstein 2.500 Zuchttiere gekeult. Anders als beim Mastgeflügel werden die Tiere in kleinere, luftdichte Container getrieben. Dort hinein wird das Gasgemisch geleitet.

Tapphorn: Im Tierseuchengesetz ist geregelt, wie die weiteren Schritte in jedem Bundesland aussehen. Da wir in Niedersachsen leben, durften wir die Gänse selbst keulen, weil wir über den entsprechenden Sachkundenachweis verfügen. Da wir unseren Stall nicht luftdicht abriegeln können, wurden uns von der Gesevo GmbH Container zur Verfügung gestellt, in die wir die Tiere gruppenweise haben gehen lassen. Dort hinein wurde das Gas geleitet. Das ging sehr schnell und sehr ruhig; alle 2.500 Gänse waren innerhalb von zwei Stunden gekeult. Mir war wichtig, dass es tierschutzgerecht vonstattengeht und dass meine Gänse keine Angst haben müssen. Außerdem konnte ich so meinem eigenen Anspruch, der Verantwortung für meine Tiere nachzukommen, gerecht werden. Ich wollte das nicht an andere abgeben.

Wie hoch ist der finanzielle Schaden?

Tapphorn: Etwa 200 Euro ist ein Tier in der Legesaison wert, weil man ein knappes Dreivierteljahr vorfinanziert hat, bis die Gans Eier legt. Erstattet wird pro Elterntier ein Betrag von 50 Euro durch die Tierseuchenkasse (TSK). Im Anschluss muss man sogar eineinhalb Jahre vorfinanzieren bis zur nächsten Legeperiode, denn nur im Frühjahr verdienen wir Geld mit den Zuchttieren. Privat versichern können wir uns für so einen Fall nicht. Mir sagte dazu mal ein Vertreter: „Ich versichere doch nicht Tschernobyl!“ Durch den AI-Fall auf dem Betrieb von Lorenz Eskildsen es gibt momentan kaum noch deutsche Elterntiere. Er und auch ich werden daher unsere Küken, deren Verkauf als Mastgänse uns sonst noch ein gutes Einkommen gesichert hat, in diesem Jahr größtenteils selbst behalten. Die Kunden werden also gezwungen sein, im Ausland ihre Gössel zu kaufen. Ich glaube allerdings, dass unsere Stammkunden nicht zufrieden sein werden mit der Qualität und dem Service, den sie bei der Konkurrenz bekommen. Positiv gesprochen: Jetzt sehen die Leute, welchen Service sie hier ganz selbstverständlich bekommen haben.

Eskildsen: Wir befinden uns nach wie vor in einer Schadenssituation. Bei uns ist es grundsätzlich wie bei Iris Tapphorn: Der Entschädigungsanspruch über die TSK liegt bei 50 Euro pro Tier. Nach der ersten Keulung bei mir in 2006 gab es ein kurzes Zeitfenster, in dem ich eine Versicherung gefunden hatte, die für den AI-Fall versichert hat. Bisher habe ich aber keine Leistung erhalten. Wir wissen jetzt noch nicht, wie wir das Jahresende erreichen können.

Welche Gefühle löst so eine Situation aus?

Eskildsen: Der Augenblick selbst ist mit einer Hochwassersituation vergleichbar: Zuerst weiß man gar nicht, wo man anfangen soll zu arbeiten. Dann funktioniert man einfach. Und wenn das Wasser schließlich weg ist, wird erst das Ausmaß des Schadens sichtbar. Ich habe für mich persönlich Techniken entwickelt, die mir in solchen Momenten helfen. Hier geht es auch um die Frage, wie man die engste Familie vor diesen Sorgen schützen kann. Auf dem Hof muss ich zudem den harten Mann spielen – schließlich bin ich Ansprechpartner und kann nicht in Tränen aufgelöst vor den Leuten von der Tötungskolonne stehen. Bei der Abwicklung dieses AI-Falls über die Weihnachtsfeiertage habe ich kurz an meinem Beruf, meiner täglichen Arbeit gezweifelt und mich gefragt, ob ich überhaupt weitermache. Letztlich habe ich mir über viele Jahre ein solides Unternehmen und die entsprechende Expertise aufgebaut – so lange es also eine Perspektive gibt, auf die ich zumarschieren kann, bleibe ich bei den Gänsen. Fest steht für mich aber auch: Ein drittes Mal halte ich das nicht aus. Und mein Beitrag für diese Gesellschaft muss definitiv angemessen honoriert werden. Schöne Bilder in der Landschaft gibt es nicht umsonst. Was mich in diesem Zusammenhang bewegt hat, war der Gedanke der Verrohung. Schon im Sinne des Tierschutzes darf eine Gewöhnung an diese Tötungsvorgänge nicht stattfinden. Doch davor werden wir als Tierhalter nicht geschützt.

Tapphorn: Ich hatte einen kleinen Nervenzusammenbruch, als ich mit meinem Nachbarn telefonierte und er mir erzähle, dass er hunderte tote Tiere auf seinem Betrieb stapelt. Da habe ich kurzzeitig die Kontrolle verloren. Dann kam mein Vater und hat mir wieder eine Perspektive eröffnet, indem er gesagt hat: „Es wird nicht das Schlimmste sein, was wir in unserem Leben durchgestanden haben.“ Kaum ausgehalten habe ich aber die laute Stille auf dem Hof, ganz ohne Gänsegeschnatter. Auch ich habe mich gefragt, ob ich weiterhin Gänse halten will. Und dann habe ich an Weihnachten gedacht und daran, wie glücklich alle sind, wenn sie meine Gans essen. Es entsteht mir ein finanzieller Schaden, ich stehe aber nicht vor dem wirtschaftlichen Aus. Dennoch wird das kein Elterntierhalter mehrere Jahre hintereinander mitmachen können. Kein anderer Unternehmer begibt sich in eine solche Unsicherheit und Abhängigkeit vom Staat, der zwar Regelungen vorgibt, aber am Ende nicht unterstützt. Wenn es weiterhin heimische Weihnachtsgänse geben soll, dann muss unsere Branche besser unterstützt werden.

Wie gut konnten sich Ihre Betriebe nach diesem Schock erholen?

Eskildsen: Wir sind nach wie vor in einer Schockstarre. Der letzte Kükenverkauf war im Frühjahr 2020, der nächste wird erst 2022 sein. Die Weiterentwicklung ist nicht einfach. Wir befinden uns immer noch auf dem Weg des Aufbaus, sind hoffnungsvoll, aber müssen auch auf der Hut sein und Achtsamkeit an den Tag legen.

Tapphorn: Hinzu kommt, dass wir nicht wissen, ob die Küken im nächsten Jahr überhaupt jemand haben möchte. Wir können das letztlich nur durchstehen, weil wir den Hofladen und den Onlineshop haben und zusätzlich eigene Schlachttiere verkaufen. Ich habe offen bei meinen Kunden kommuniziert, dass ich ihre Unterstützung brauche und auf ihre gegenseitige Rücksichtnahme angewiesen bin. Denn wenn ich davon nicht leben kann, dann kann ich sie auch nicht beliefern. Ich habe Stammkunden und bin im B2B-Geschäft, habe also keine große Fluktuation.

Welche Maßnahmen planen Sie für die Zukunft?

Eskildsen: Wir haben am Standort in Wermsdorf in neue Ställe investiert. Dort wurden nun schon zum zweiten Mal alle Gänse gekeult, obwohl es Tiere gab, die nicht positiv auf das AI-Virus getestet waren. Deshalb haben wir diesen einen jetzt in drei verschiedene Standorte unterteilt. Über den BBG haben wir bereits in Richtung der TSK einiges angeschoben. Hier müssen die Gänsehalter bei der Entschädigungssumme anders berücksichtigt werden. Und wir müssen uns über den Verband dafür einsetzen, dass wir die ersten sein dürfen, die einen Markerimpfstoff gegen die Geflügelpest einsetzen. Es gibt immer wieder triftige Argumente dagegen, aber wir werden dieses Thema nicht mehr loslassen. Wenn wir von Biodiversität sprechen wollen, dürfen wir nicht nur das Aushängeschild der Branche sein, sondern müssen auch geschützt werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.


Zu den Personen

Lorenz Eskildsen hat mehrere Gänseelterntierbetriebe in Nord- und Ostdeutschland. Hauptstandort des Unternehmens ist das sächsische Mutzschen bei Wermsdorf, wo er insgesamt 15.000 Elterntiere hält. Im Dezember 2020 musste er alle Tiere aufgrund der Aviären Influenza (AI) töten lassen. Neben den Gänseküken werden hier auch Produkte aus Gänsefedern und -eiern verkauft. Eskildsen ist Vorsitzender des Bundesverbandes Bäuerliche Gänsehaltung (BBG), der unter dem Dach des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V. (ZDG) organisiert ist.

Iris Tapphorn hält im niedersächsischen Lohne sowohl 2.500 Elterntiere auf zwei Standorten als auch Mastgänse. Im März 2021 musste sie alle Zuchttiere auf dem Hauptstandort aufgrund eines positiven AI-Falles keulen lassen. Zum Betrieb gehören außerdem eine Bettenstube und ein Hofladen. Tapphorn ist Mitglied im BBG.