
Sicherheit im Ernstfall
Die Tierseuchenkasse NRW spielt eine zentrale Rolle, wenn Geflügelbestände von einer Tierseuche betroffen sind. Was Halter über Entschädigungen, Beihilfen, Meldepflichten und EU-Kofinanzierungen wissen müssen.
von Vivien Kring, DGS Redaktion erschienen am 14.11.2025In ihrem Vortrag auf der Mitgliederversammlung des Geflügelwirtschaftsverbandes NRW erläuterte Dr. Birgit Kaeppel, Tierseuchenkasse NRW, wie das Solidarsystem funktioniert, auf das Geflügelhalter im Ernstfall angewiesen sind. Die Tierseuchenkasse NRW ist ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen der Landwirtschaftskammer NRW. Sie dient als gemeinsamer Fonds aller Tierhalter, um die wirtschaftlichen Folgen von Tierseuchen abzufedern. Wichtig ist dabei, dass sie keine Versicherung, sondern ein gesetzlich geregeltes Solidarsystem ist. Alle Tierhaltungen – vom Kleinst- bis zum Großbetrieb – müssen registriert sein, damit die Tierseuchenkasse NRW im Seuchenfall tätig werden kann.
Entschädigungen bei Seuchenausbrüchen: klare gesetzliche Grundlage
Wenn eine Tierseuche ausbricht und die Veterinärbehörde die Tötung eines Bestandes anordnet, greift der Kernbereich der Arbeit der Tierseuchenkasse NRW. Grundlage hierfür ist § 15 Nr. 1 Tiergesundheitsgesetz (TierGesG), der regelt, dass eine tierseuchenrechtlich begründete, amtliche Tötungsanordnung Voraussetzung für eine Entschädigung ist.
Darauf baut § 16 TierGesG auf: Er legt fest, welche Kosten im Rahmen der Entschädigung übernommen werden. Dazu gehören der gemeine Wert der Tiere, die Kosten für deren Tötung sowie die Entsorgung der getöteten Tiere. Dr. Kaeppel betonte, wie entscheidend dieser formale Rahmen ist: Ohne eine amtliche Anordnung besteht kein Anspruch.
Finanziert werden diese Entschädigungen je zur Hälfte aus Landesmitteln und aus Beiträgen der Tierseuchenkasse NRW. Zusätzlich beteiligt sich die Europäische Union im Rahmen der Kofinanzierung von Dringlichkeitsmaßnahmen nachträglich mit max. 20 bis 30 %, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Kofinanzierung von Dringlichkeitsmaßnahmen durch die EU im Überblick
Wenn bei einem Seuchenausbruch in der Tierhaltung – etwa bei Geflügel – sofortige Bekämpfungsmaßnahmen erforderlich werden, spricht man von Dringlichkeitsmaßnahmen. Das können zum Beispiel sein: die schnelle Tötung eines Bestandes, umfangreiche Reinigung und Desinfektion, Sperrzonen oder umfangreiche Untersuchungen. In solchen Fällen greifen gemeinschaftlich finanzierte EU-Programme, um sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die Tierhalter zu entlasten.
Gemäß § 6 Absatz 4 des AG TierGesG TierNebG NRW („Ausführungsgesetz zum Tiergesundheitsgesetz und zum Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz“) übernimmt die Tierseuchenkasse NRW im Seuchenfall die Antragstellung bei der Europäischen Kommission für eine solche Kofinanzierung nach der Verordnung (EG) Nr. 349/2005 („Zur Festlegung der Regeln für die gemeinschaftliche Finanzierung der Dringlichkeitsmaßnahmen …“) und leitet diese Anträge an das zuständige Ministerium weiter.
Das bedeutet konkret:
- Wenn eine Tierseuche amtlich festgestellt wird und sofortige Maßnahmen nötig sind, beantragt die TSK NRW die Beteiligung der EU-Finanzierung für diese Maßnahmen.
- Wenn die EU-Beteiligung genehmigt wird, trägt sie einen Teil der Kosten der durchgeführten Maßnahmen (also z. B. Tötung, Entsorgung, Desinfektion) mit.
- Der verbleibende Anteil wird aus den Beiträgen der Tierhalter über die Kasse und aus Landesmitteln finanziert.
Warum ist das wichtig für Geflügelhalter? Weil die schnellen Einsätze hohe Kosten verursachen können – insbesondere bei großen Beständen oder bei komplexen Schutz- bzw. Desinfektionsmaßnahmen. Die EU-Kofinanzierung wirkt somit als finanzielle Entlastung für alle Beteiligten und stärkt die Solidargemeinschaft im Seuchenfall.
Beihilfen: Unterstützung über den gesetzlichen Rahmen hinaus
Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Entschädigungen übernimmt die Tierseuchenkasse NRW auch Beihilfen als freiwillige Leistungen, die nicht im TierGesG festgelegt sind, aber für Geflügelhalter im Krisenfall von großer praktischer Bedeutung.
Im Vortrag von Dr. Kaeppel wurden die wichtigsten Bereiche benannt: Die Tierseuchenkasse NRW unterstützt die nach amtlicher Anordnung durchzuführende Reinigung und Desinfektion der Ställe. Kleinere Bestände bis 249 Stück Geflügel erhalten eine Beratung und die notwendigen Desinfektionsmittel, während in größeren Beständen (ab 250 Stück Geflügel) die Kosten für definierte Tätigkeiten nach Rahmenvereinbarung übernommen werden. Betriebe, die mehrfach betroffen sind, müssen zusätzlich ein Zertifikat über eine Online-Schulung zur Biosicherheit nachweisen. Auch die Entsorgungskosten für Eier sind im Seuchenfall durch entsprechende Beihilfen abgedeckt.
Im Gegensatz zu den Entschädigungen werden Beihilfen vollständig aus Beiträgen der Tierseuchenkasse NRW finanziert; das Land kann sich bis zu 50 % beteiligen und tut dies in der Regel auch.
Prophylaxe und Vorsorge: gesetzliche Früherkennung und praktische Unterstützung
Ein weiterer Aufgabenbereich betrifft die Tierseuchenprophylaxe. Hierzu zählen Vorhaltemaßnahmen wie die Bereitstellung von Personal und Material, die im Ernstfall schnell eingesetzt werden können. Dr. Kaeppel verwies zudem auf die enge Zusammenarbeit mit der Tierseuchen-Vorsorge-Gesellschaft mbH.
Rechtlich besonders relevant ist dabei die Früherkennung der Geflügelpest. Nach § 4 der Geflügelpest-Verordnung (GeflPestV) sind virologische Untersuchungen mittels PCR vorgeschrieben, wenn erhöhte Verlustraten und/oder Leistungsminderungen im Bestand festgestellt werden. Diese Untersuchungen werden als prophylaktische Beihilfen unterstützt. Ergänzt wird das System durch digitale Schulungen zur Biosicherheit, die verpflichtender Bestandteil für wiederholt betroffene Betriebe sind und grundsätzlich allen Haltern dringend empfohlen werden.
Pflichten der Tierhalter: Voraussetzung für Leistungen
Leistungen der Tierseuchenkasse NRW sind an konkrete Pflichten geknüpft, die gesetzlich verankert sind.
Im Zentrum steht die Meldepflicht: Gemäß § 14 AG TierGesG TierNebG NRW sowie § 1 Absatz 1, 2 und 5 der Tierseuchenbekämpfungsverordnung (TSBekVO) müssen Geflügelhalter jährlich ihren Jahreshöchstbesatz melden – und zwar spätestens bis zum 31. Januar. Diese Meldung ist unabhängig vom Zweck der Tierhaltung und gilt ebenso für Hobbyhaltungen wie auch für reine Nutzungsbestände.
Dazu kommt eine Nachmeldepflicht: In Beständen mit mehr als 500 Gänsen, 500 Enten, 500 Puten, 1.000 Masthähnchen, 1.000 Legehennen/Junghennen, 1.000 Elterntieren oder 1000 Gänse-, Enten oder Putenküken muss jede Überschreitung des gemeldeten Höchstbesatzes um mehr als zehn Prozent unverzüglich nachgemeldet werden. Neugegründete Tierbestände sind immer sofort mitzuteilen; nachgemeldete Tiere sind beitragspflichtig.
Verstöße gegen diese Pflichten haben direkte Konsequenzen. § 18 und § 19 TierGesG regeln, dass bei schuldhaften Verstößen Entschädigungen (gilt für Beihilfen analog) gekürzt oder vollständig versagt werden können. Dazu zählen verspätete Meldungen, fehlende Beitragszahlungen, tierseuchenrechtliche Verstöße, verspätete Anzeige eines Seuchenverdachts oder unzureichende Umsetzung behördlich angeordneter Maßnahmen .
Ebenfalls wichtig ist die Frist für Leistungsanträge: Sie müssen innerhalb von 30 Tagen nach der Tötung des Bestandes bei der zuständigen Veterinärbehörde gestellt werden.
Bedeutung für die Geflügelbranche
Für Geflügelhalter in Nordrhein-Westfalen hat die Tierseuchenkasse NRW eine besondere Bedeutung. Die Branche ist durch die Geflügelpest regelmäßig einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Gleichzeitig sind Geflügelbetriebe strukturell stärker betroffen, da hohe Tierzahlen, kurze Produktionszyklen und die ständige Gefahr des Eintrags über Wildvögel sensible Rahmenbedingungen schaffen.
Dr. Kaeppel machte deutlich, dass die Solidargemeinschaft der Tierseuchenkasse NRW nur dann verlässlich funktioniert, wenn alle Halter ihre Meldepflichten erfüllen. Der jährliche Höchstbesatz bildet das Fundament für eine richtige Beitragsveranlagung – und damit auch für die Finanzkraft, die im Ernstfall benötigt wird.
Die Kasse finanziert Entschädigungen, ermöglicht Beihilfen, unterstützt Vorsorgemaßnahmen und hilft, schwere wirtschaftliche Folgen abzumildern. Sie stabilisiert damit nicht nur einzelne Betriebe, sondern die gesamte Geflügelwirtschaft in NRW.








