
Wissenschaftlerin sieht Chancen
Der Außenschutz der EU bleibt auch mit dem Mercosur-Abkommen hoch. Das hat die stellvertretende Leiterin des Thünen-Instituts für Marktanalyse, Dr. Janine Pelikan, gegenüber AGRA Europe dargelegt. Profitieren können nach ihrer Einschätzung heimische Milchbauern und Winzer. Für Rindfleisch geht sie in der EU lediglich von einem Preisrückgang von 1 bis 2 % aus; auch für Geflügelfleisch sollen die Auswirkungen gering sein.
von AgE erschienen am 30.10.2025Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten bietet auch Chancen für den europäischen Agrar- und Ernährungssektor. Das betont Dr. Janine Pelikan, stellvertretende Leiterin des Thünen-Instituts für Marktanalyse, im Gespräch mit AGRA Europe.
Die Wissenschaftlerin verweist unter anderem darauf, dass im Rahmen des Abkommens beispielsweise die Handelshemmnisse für südamerikanisches Soja abgebaut werden sollen; das werde in der Debatte häufig vernachlässigt. Zwar liege der Zollsatz der Europäischen Union auf Soja aus den Mercosur-Staaten bereits heute bei 0%, sodass keine EU-Quoten nötig seien, jedoch würden einige der südamerikanischen Länder Exportsteuern erheben, erläutert Pelikan. Insbesondere Argentinien steche in diesem Kontext hervor. Die Exportsteuern seien dabei nicht immer gleich hoch, sondern würden regelmäßig angepasst und hätten in den vergangenen Jahren zwischen 26 und 33% gelegen. Das Mercosur-Abkommen sieht Pelikan zufolge vor, dass Argentinien ab dem fünften Jahr seine Exportsteuern auf Soja auf höchstens 18% reduziert. Mittelfristig würden sie dann weiter auf maximal 14% abgeschmolzen. Das würde dazu führen, dass die Preise für Futtermittel in der EU sänken. Pelikan macht allerdings auch klar, dass hier lediglich mit sehr kleinen Effekten zu rechnen ist.
Darüber hinaus könnten der stellvertretenden Institutsleiterin zufolge europäische Lebensmittel vom Schutz für 350 geografischen Herkunftsangaben profitieren. Außerdem gibt es Pelikan zufolge auch Agrargüter und Lebensmittel, bei denen der EU niedrigere Zölle zugutekommen könnten. Hier seien europäische Milchprodukte zu nennen. Auf diese werde von den Mercosur-Staaten bisher im Durchschnitt über alle Produkte ein Zollsatz von 22% erhoben. Mit dem Abkommen würden die Mercosur-Länder der EU-Quoten einräumen, innerhalb derer die EU Milchprodukte zollfrei exportieren könne. Je nach Ausnutzung der Quote läge der durchschnittliche Zoll für Milchprodukte dann nur noch bei 3 bis 11%. Zudem würde die EU im Bereich verarbeitete Nahrungsmittel von niedrigeren Handelsbarrieren profitieren. Vonseiten der Mercosur-Länder ist laut Pelikan eine Absenkung von im Durchschnitt 15 auf 2% vorgesehen. Bei Getränken sei vor allem Wein interessant; bisher würden die südamerikanischen Partner ihren Markt mit Zöllen von bis zu 35% schützen. Der Zoll für diese Produktgruppe könne mit dem Abkommen jedoch bis auf 1% sinken.
Verdrängungseffekte zu erwarten
Insgesamt sind die für den Agrarbereich zu erwartenden Exportsteigerungen nach Einschätzung der Wissenschaftlerin jedoch gering. Ähnlich sehe es allerdings auch bei den zu erwartenden Effekten auf sensible europäische Agrarprodukte aus. Pelikan weist darauf hin, dass sich etwa die viel diskutierten 99.000 Tonnen zusätzliche Rindfleischquote auf das Schlachtgewicht beziehen. Im Handel kämen davon lediglich 76.000 Tonnen an, da unter anderem das Gewicht der Knochen noch abgezogen werden müsse. Außerdem sei nicht davon auszugehen, dass diese 76.000 Tonnen zusätzlich auf den Markt kämen. Vielmehr würde Pelikan zufolge ein Teil des Rindfleisches, das bisher zu einem hohen Zollsatz in die EU geliefert wird, dann zu einem deutlich niedrigeren Satz in die Union kommen.
Außerdem rechnet die Wissenschaftlerin mit Verdrängungseffekten, also der Umlenkungen von Handelsströmen: Fleisch, das aktuell aus anderen Ländern wie zum Beispiel Chile auf den europäischen Markt komme, könne durch Ware aus den Mercosur-Ländern ersetzt werden. Den zu erwartenden Preisrückgang für Rindfleisch sieht Pelikan zwischen 1 und 2 %. Auch für die europäischen Geflügelmäster würde ihrer Einschätzung zufolge durch das Abkommen die Konkurrenz zunehmen, aber auch hier seien die Effekte gering. Und dann gebe es ja auch noch die Schutzklausel, die es der EU ermöglichen solle, Zollpräferenzen vorübergehend wieder anzuheben, wenn es zu starken Preisrückgängen oder Importsteigerungen in einem oder mehreren EU-Mitgliedstaaten komme.
Die Sorge, dass durch plötzliche Änderungen in der schwer vorhersehbaren US-amerikanischen Außenhandelspolitik die Effekte des Mercosur-Abkommens doch größer ausfallen als erwartet, sind der Wissenschaftlerin zufolge weitestgehend unbegründet. Modellrechnungen hätten gezeigt, dass auch wenn die USA durch höhere Zölle sowie Gegenzölle weiter aus dem Welthandel herausgenommen würden, die Auswirkungen des Mercosur-Abkommens auf die Agrarbranche ähnlich blieben.









