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Haltung von Hennen mit ungekürzten Schnäbeln

Aufwendig, aber nicht unmöglich

Die freiwillige Vereinbarung der Geflügelwirtschaft sieht vor, dass ab 2017 keine schnabelgekürzten Hennen mehr eingestallt werden. Die Beelitzer Frischei e. G. erfüllt diese Forderung schon seit einigen Jahren.
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Diese Henne erkundet das Grün auf der anderen Seite des Zaunes.
Diese Henne erkundet das Grün auf der anderen Seite des Zaunes. Iske
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Heidi Heß steht am Tor, durch das wir gleich den Hennenauslauf betreten werden: "So, ihr Süßen, nun macht mal Platz. Na kommt schon, lasst uns mal rein." Als die Hühner vor dem Tor zurückweichen, das Heß vorsichtig öffnet, lobt sie: "Prima, meine Lieben, es geht doch."

Heß arbeitet schon seit über 30 Jahren bei der Beelitzer Frischei e. G. in Brandenburg. Der Betrieb hat einen Legehennenbestand von 50.000 Tieren und wird von Sabine Kimmel, deren Tochter Susanne und Packstellenleiterin Angela Münzberg gemeinsam geführt. Bereits seit fünf Jahren werden Legehennen mit ungekürzten Schnäbeln eingestallt - sowohl in Boden- als auch in Freilandhaltung. Die Eier werden über den eigenen Hofladen, aber auch im Lebensmitteleinzelhandel in der Region vermarktet. In der "Beelitzer Nudelwerkstatt" werden die S-Eier verarbeitet.

Stressvermeidung ist eine große Herausforderung

„Natürlich ist es eine große Herausforderung, Hennen mit ungekürzten Schnäbeln zu halten und dabei Federpicken und Kannibalismus dauerhaft und in jeder neuen Herde zu vermeiden. Aber je tiergerechter sie gehalten werden, desto einfacher wird es. Das bedeutet, dass wir die Hennen bestmöglich vor Stress schützen müssen“, bringt Sabine Kimmel es auf den Punkt.

Für die Stressprophylaxe tun sie in Bee­litz einiges. Dazu gehören eine leistungsangepasste Futterversorgung, eine gute Gesundheitsvorsorge, die das Impfen und die aktive Bekämpfung der Roten Vogelmilbe mit Kieselsäure einschließt, auf die Bedürfnisse der Hennen abgestimmte Stallklimaverhältnisse und abwechslungsreich gestaltete Beschäftigungsmaterialien im Stall und im Auslauf.

Eine intensive Tierbeobachtung sollte selbstverständlich sein

Eine Grundvoraussetzung muss unbedingt erfüllt sein, davon ist Sabine Kimmel überzeugt: Wenn man Hennen mit ungekürzten Schnäbeln hält, ist eine sehr viel intensivere Tierbeobachtung nötig – denn Verhaltensauffällig­keiten müssen bemerkt werden, bevor Federpicken oder Kannibalismus zu einem Problem werden.

Damit die große Anzahl Hennen, die am Standort Beelitz gehalten wird, gut betreut werden kann, gehört zum Team des Unternehmens neben Heidi Heß auch Alexander Kleiber, ein gelernter Tierwirt. Die beiden sind hauptsächlich für die Beobachtung der Legehennen zuständig. „Heidi und Alex sind wahre Hühnerflüsterer“, sagt Kimmel, und es wird deutlich, wie wichtig diese Mitarbeiter für den Betrieb sind: Kleiber arbeitet seit einem Jahr in Beelitz, Heß ist bereits vor der Wende eingestellt worden: „Ich habe damals noch in der DDR eine Ausbildung zum Zootechniker und Mechanisator mit dem Schwerpunkt Geflügel gemacht. Einen Beruf zu finden, der mir so viel Freude macht, und einen Betrieb, den ich in fünf Minuten mit dem Fahrrad erreiche – was hätte mir Besseres passieren können?“

Eine wichtige Aufgabe für die Tierwirte ist die Auswahl des Beschäftigungsmaterials. Die Hennen sollen animiert werden, sich damit auseinanderzusetzen: „In den großen Drahtkörben in den Ställen und Wintergärten bieten wir den Tieren abwechselnd Heu, Möhren, Äpfel, Zu­ckerrüben oder Rote Bete an, und alles finden sie richtig gut. Zusätzlich werden ab und an auch Getreidekörner in der Einstreu verteilt. Das Wichtigste dabei ist die Abwechslung“, stellt Heidi Heß fest.

Deshalb stehen im Auslauf Bäume und Büsche, die den Tieren Schutz vor Beutegreifern bieten und zwischen denen die Hühner sandbaden können. Außerdem gibt es einen Rundballen Stroh und einen aufgeschütteten Erdhügel. Hier können sie picken, scharren und zupfen. „Die Beschäftigungsmöglichkeiten müssen für die Hennen interessant bleiben. Richtig spannend wird der Auslauf erst, weil wir hier immer wieder etwas verändern“, ergänzt Kimmel.

Aber nicht nur die Gestaltung, auch die Pflege des Auslaufs ist wichtig. Um bei Regen die Pfützenbildung zu vermeiden, sind die Ausläufe drainiert. Zudem werden die Flächen regelmäßig glatt gezogen und im stallnahen Bereich wird hin und wieder Boden ausgetauscht. So wird auch verhindert, dass die Hennen Pfützenwasser trinken und sich dadurch mit Krankheiten infizieren.

Grundlagen für eine gute Tierbeobachtung sind Erfahrung, viel Fingerspitzengefühl und ein Blick für die Tiere. Heidi Heß weiß: „Die Hühner erkunden sich gern gegenseitig, zupfen an den Federn der anderen und ziehen ab und zu schon mal eine lose mit heraus. Das allein ist noch keinen Grund zur Sorge. Bedenklich wird es erst, wenn eine Henne nach dem Herauszupfen nicht aufhört zu picken, denn dann kann es schnell in Richtung Kannibalismus gehen.“

Die jungen Hennen dürfen bei der Einstallung nicht zu leicht sein

Eine weitere, wichtige Voraussetzung für eine tiergerechte Haltung und stressarme Entwicklung ist, nach Ansicht von Sabine Kimmel, ein gutes Einstallgewicht der Junghennen. Seit Kurzem testen sie deshalb verschiedene Herkünfte und arbeiten momentan mit zwei Junghennenlieferanten zusammen: „Wir wollen herausfinden, ob es Unterschiede im Futteraufnahmevermögen und beim Einstallgewicht zwischen den Herkünften gibt, denn bei beiden Merkmalen ist, wie ich finde, noch Luft nach oben.“

Damit die Hennen bei der Einstallung das optimale Gewicht haben, darf schon in der Junghennenaufzucht nicht am Futter gespart werden. Optimal bedeutet, dass mindestens die Gewichte der Sollkurve für Junghennen erreicht werden, die Tiere also zum Ende der 17. Lebenswoche mindestens zwischen 1450 und 1 550 g wiegen. „Um auch während der Legeperiode einen Überblick über die Körpergewichte der Tiere zu behalten, wiegen wir die Hennen. So können wir überprüfen, ob sie genug fressen und bei Bedarf reagieren. Wir geben dann Pflanzenöl zum Futter, das schmeckt den Tieren, und sie fressen automatisch mehr“, erklärt die Betriebsleiterin.

Mit einer Phasenfütterung will Kimmel erreichen, dass die Hennen vor und im Verlauf der Legeperiode bestmöglich mit Nährstoffen versorgt werden, da sich der Bedarf, z. B. an Calcium, verändert. Eine gleichbleibend körnige, dabei aber homogene Futterstruktur zu jedem Zeitpunkt der Legeperiode ist ebenfalls wichtig: Dadurch soll vermieden werden, dass sich die ranghöchsten Hennen „die Leckerlis“ herauspicken und für die rangniederen Tiere nichts ausreichend Nahrhaftes mehr übrig bleibt.

Trinkwasser steht den Hennen über ein geschlossenes Tränkesystem im Stall zur Verfügung und auch im Wintergarten wird ihnen Wasser angeboten.

Ob die Hennen rausgehen, sollte der Halter selbst entscheiden dürfen

Weil die Beelitzer Hennen sowohl in Freiland- als auch in Bodenhaltungssysteme eingestallt werden, sind die Betriebsleiterin und ihre Hühnerflüsterer mit den unterschiedlichen Herausforderungen dieser Haltungsformen vertraut.

Weil die Beelitzer Hennen sowohl in Freiland- als auch in Bodenhaltungssysteme eingestallt werden, sind die Betriebsleiterin und ihre Hühnerflüsterer mit den unterschiedlichen Herausforderungen dieser Haltungsformen vertraut.

Die Lichtquelle hat einen Einfluss auf das Verhalten der Tiere

Beim Lichtregime ist es wichtig, die Beleuchtung im Stall so gut wie möglich an die natürlichen Bedingungen anzupassen, wozu natürlich auch eine Dimmphase morgens und abends gehört. Die Betriebsleiterin betont: „Die Beleuchtung ist bei uns kein starres Konzept, sondern wird auf jede Herde Junghennen neu abgestimmt. Das ist deshalb wichtig, weil wir auf keinen Fall wollen, dass die Tiere mit dem Eierlegen anfangen, bevor sie das richtige Gewicht dafür erreicht haben.“ Ein weiterer Faktor, der bei den Hennen Stress verursachen kann und deshalb bedacht werden muss, sind die Lichtquellen im Stall. In Beelitz werden Hochfrequenzröhren verwendet, denn sie spenden gleichmäßiges, flackerfreies Licht.

Die Besatzdichte ist außerdem ein wesentlicher Aspekt, über den der Stresspegel der Hennen reguliert werden kann. Besonders deutlich ist das bei einem Versuch in Beelitz mit etwa 25 % verringerter Besatzdichte geworden. In einem Stall, in dem normalerweise Platz für 13 000 Tiere ist, wurden dafür nur 10 000 Hennen gehalten. „Das Ergebnis war, dass wir keinerlei Verhaltensauffälligkeiten, keine Verluste und keine Krankheiten in dieser Herde hatten. Die Tiere hatten einfach weniger Stress“, erinnern sich Heß und Kimmel. Der Haken daran sind die gleichbleibend hohen Fixkosten trotz der nur unvollständigen Auslastung des Stallgebäudes: Für das Ei, das in einem Stall mit dieser Besatzdichte gelegt wird, müsste der Kunde mehr bezahlen.

Auch ein Notfallplan ist vorhanden

Natürlich gibt es auch bei der Beelitzer Frischei e.G. einen Notfallplan. Sobald Nervosität oder Unruhe in einer Herde erkennbar sind, werden Magnesium oder Kochsalzlösung über das Trinkwasser gegeben, mithilfe von Futtermittelzusätzen kann darüber hinaus der Aminosäuregehalt erhöht werden. Durch Pflanzenöl, das zum Futter gegeben wird, fressen die Tiere mehr und werden wieder ruhiger. Welche dieser Varianten gewählt wird, hängt von der Herde ab, wobei Magnesium und Aminosäuren eher eingesetzt werden, wenn die Herde ihre hochleistende Phase erreicht hat. Bei Althennen wird meistens zuerst die Kochsalzvariante versucht. „Einen richtig ernsten Notfall hatten wir aber zum Glück noch nie“, berichtet Kimmel stolz.

Endoparasiten stellen zwar keinen Notfall, aber immer einen Stressfaktor für die Hennen dar. Deshalb werden verendete Tiere in regelmäßigen Abständen auf Würmer untersucht und gegebenenfalls wird eine Wurmkur bei der Herde durchgeführt.

Eine Prophylaxe gegen die Rote Vogelmilbe ist ebenfalls Bestandteil der Gesundheitsvorsorge für die Tiere. Hierfür bekommen die Stallwände in der Serviceperiode einen Kieselsäureanstrich. Wichtig dabei ist, dass man alle Einrichtungselemente im Stall erreicht – denn wenn eine Stelle vergessen wird, dient sie den Blutsaugern weiterhin als Brutstätte.

Fest steht: Ein gutes Produkt muss gut bezahlt werden

Der Managementaufwand bei Hennen mit ungekürzten Schnäbeln ist sehr hoch. Dadurch erhöhen sich natürlich auch die Kosten: 3 bis 4 Cent pro Ei veranschlagt die Betriebsleiterin für die intensive Tierbeobachtung und das Beschäftigungsmaterial. „Ich bin sicher, dass alle Legehennenhalter nach einer entsprechenden Einarbeitungsphase dazu in der Lage sind, Tiere mit ungekürzten Schnäbeln zu halten. Aber bei den gegenwärtigen Eierpreisen sind die ersten Betriebe schnell ruiniert. Durch unsere Verkaufsstrategie bekommen wir einen etwas höheren Preis pro Ei, weil wir direkt an den Lebensmitteleinzelhandel vermarkten und nicht auf einen Großhändler angewiesen sind. Dieser würde zwischen uns und dem Lebensmitteleinzelhandel stehen und auch noch etwas vom Erlös abbekommen.“ Genau da liegt nach Kimmels Auffassung das Problem, denn die Kunden wären durchaus bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen, das unter höheren Tierwohlstandards produziert wurde.

Unabhängig von der Notwendigkeit macht auch uns Bauern die Arbeit viel mehr Spaß, wenn wir sie angemessen honoriert bekommen, sodass wir Tierschutzvorgaben aktiv umsetzen können. Noch dazu wäre es schön, wenn ich unseren über die Jahre immer besser qualifizierten Mitarbeitern mehr für die tolle Arbeit, die sie täglich leisten, bezahlen könnte. Außerdem sollte kein Grundnahrungsmittel unter dem Erzeugerwert verkauft werden.“

Während wir im Auslauf stehen, haben sich die Hennen um uns geschart, gucken neugierig hoch oder zupfen an den grellblauen Schuhüberziehern. Heidi Heß hockt sich zwischen „ihre“ Hühner, schaut sie sich genau an und streichelt ihnen über das schimmernde, braune Gefieder.

„Um meine Mädels kümmere ich mich fast so gut, als wären es meine Kinder, und jede Henne hat ihre ganz eigene Persönlichkeit. Wenn sie ausgestallt werden, bin ich jedes Mal ein bisschen traurig.“