Tierhaltung zwischen Ideologie und Geiz
Bei einer Podiumsdiskussion der Südhof Truthahn Erzeugergemeinschaft bekommen die deutschen Truthahnerzeuger bestätigt, das sicherste und beste Putenfleisch der Welt zu produzieren – trotzdem bleibt ihre wirtschaftliche Lage angespannt.
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„Wir haben in Deutschland die beste Putenfleisch-Qualität weltweit – gemeinsam mit Österreich und der Schweiz. Danach kommt lange nichts“, stellte Thomas Storck bei einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Tierhaltung zwischen Ideologie und Geiz: die Bedeutung von Fleisch für die Ernährung der Zukunft“ klar. Storck, Präsident des Verbandes Deutscher Putenerzeuger, schränkte aber sogleich ein: „Das wissen die Menschen nicht. Sie kaufen Billigfleisch aus Osteuropa, weil der Handel die Herkunft nicht kennzeichnet und auch sonst nicht genügend Informationen über seine Lieferanten, die Haltungsbedingungen und die Fleischqualität bereitstellt.“ Eingeladen zu der Informationsveranstaltung im mittelfränkischen Wörnitz hatte die Südhof Truthahn Erzeugergemeinschaft, ein Zusammenschluss von 35 auf Putenaufzucht spezialisierten familiengeführten Höfen aus Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg.
Die Gesellschaft hat sich von der Landwirtschaft entfremdet
Thomas Palm, der Südhof-Vorsitzende, beschrieb die schwierige Lage der Putenhöfe: Die Margen seien seit Anfang 2016 um 33 Prozent gesunken. Erste Familien hätten ihre Höfe deshalb bereits aufgegeben, andere stallten seit Monaten keine Küken mehr ein: „Wenn die Produktions- und Verwaltungskosten dauerhaft so steigen wie bisher und sich der Handel weiterhin weigert, den erhöhten Aufwand durch Preisanpassungen zu kompensieren, wird es bald keine Putenaufzucht mehr geben in Deutschland.“ Die Gesellschaft habe sich von der modernen Landwirtschaft entfremdet, sie schätze die Mühe, Arbeit und Fürsorge der Bauern nicht mehr richtig ein. Viele Menschen, die in Großstädten leben, seien noch nie in einem modernen Stall gewesen und hätten sich noch nicht mit einer Bauernfamilie über die Haltung ihrer Tiere, über die Investitionen, die Marktbedingungen, den Wettbewerbsdruck angesichts des billiger produzierenden Auslands sowie die Wünsche und Vorgaben des Groß- und Einzelhandels unterhalten. Sie wüssten folglich nicht, wie Landwirtschaft heute funktioniere und glaubten noch an eine verklärte Zukunft mit Minihöfen wie vor hundert Jahren.
60 Prozent der Produkte gehen an den Großhandel
Im Übrigen liefern die Putenhöfe ganze 40 Prozent der Waren an den Lebensmitteleinzelhandel. 60 Prozent hingegen gehen an den Großhandel und damit die Gastronomie. Für die Familienhöfe sei dies ein permanenter Spagat zwischen höchsten Tierwohlstandards, die Mühe, Platz, Material und Geld kosten, und gleichzeitig den ruinösen internationalen Kampfpreisen, die im Großhandel gezahlt werden. „Die Menschen müssten nicht nur im Supermarkt nach der Herkunft von Fleisch und Wurst fragen, nach den Haltungsbedingungen. Fragen Sie auch in Ihrem Restaurant – und essen Sie nur regionale Produkte! Jeder sollte sich das zur Gewohnheit machen“, warb Palm.
Reden und Tun ist beim Verbraucher nicht das Gleiche
Der Vertreter des Einzelhandels bei der Podiumsdiskussion vor 120 Gästen gab Palm dahingehend Recht. Ralf Engelhard, Leiter Qualität und Tierschutz bei der Edeka Südwest Fleisch in Rheinstetten, gestand auch ein, dass auf die Regionalität der Waren mehr Wert gelegt und stärker hingewiesen werden müsste. Immerhin habe sich der deutsche Lebensmitteleinzelhandel auf eine neue Kennzeichnung der Haltungsformen geeinigt, die ab dem 1. April bundesweit gelte: von Kategorie 1 für Standard bis 4 für Premium. Das ist allerdings umgekehrt wie bei den Haltungsformen bei den Eiern, wo 0 für Bio-Haltung steht und 3 für die sogenannte Kleingruppenhaltung. Insofern könnte die neue Kennzeichnung des Handels die Menschen beim Einkaufen im Supermarkt verwirren.
Mehr als 80 Prozent der Konsumenten in Deutschland sprechen sich nach Engelhardts Worten zwar in Umfragen immer wieder dafür aus, mehr Geld für Fleisch und Wurst aus einer tiergerechten Haltung ausgeben zu wollen. Aber eine aktuelle Studie der Hochschule Osnabrück habe ernüchternde Ergebnisse erbracht, wenn es um das tatsächliche Kaufverhalten gehe. Der Praxistest in 18 Supermärkten der Region Hannover-Minden habe gezeigt, dass ein knappes Drittel der Fleisch- und Wurstkäufer einen Aufschlag für Produkte mit einem beworbenen höheren Tierwohl in der Haltung tatsächlich auch zahle. Dabei werde mehrheitlich nur ein Aufschlag von 30 Cent pro Packung akzeptiert. Eine Verdoppelung des Preises (bei einer denkbar besten Tierhaltung) gegenüber dem günstigsten Produkt schrecke die Konsumenten eher ab. Denn nur elf Prozent der Käufer griffen zu dieser Premiummarke, die maximales Tierwohl garantiere.
Ehemalige Tierschutzbeauftragte kritisiert: „Kein Wandel beim Handel!“
Bei dieser Argumentation mache es sich der Handel zu einfach, meinte die ehemalige Tierschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Dr. Cornelie Jäger. Die Tierärztin und Gutachterin sagte, man dürfe das wertigere Produkt nicht direkt neben das billigste legen, wenn man es verkaufen wolle. Das sei eine Frage des Framings, also des direkten Vergleichs mit dem Umfeld. Die Premiumprodukte müssten in einer Premium-Umgebung angeboten werden, dann würden die Konsumenten sie auch besser annehmen. Bei Aldi, Lidl, Edeka und Rewe erkenne sie noch immer keine Einsicht, die Wettbewerbsstrategie einer „Preisführerschaft“ bei Fleisch und Wurst zu ändern hin zu einer Qualitätsführerschaft – mit Transparenz, Tierwohl und mehr Regionalität. „Kein Wandel beim Handel!“ kritisierte Jäger.
Um eine hochwertige Haltung mit einer angemessenen Vergütung zu verbinden, schlug sie eine „Tierwohlumlage“ vor. Bei einer entsprechenden Preiserhöhung von 60 Eurocent pro Kilogramm Fleisch aus der Region würde der Handel an die fleischerzeugenden Landwirte hierzulande fünf Milliarden Euro pro Jahr weitergeben. So könnte die deutsche Putenwirtschaft möglicherweise langfristig gesichert werden, glaubt Jäger. Dass die Landwirtschaft in Deutschland industrialisiert bleiben wird, erkannte sie an, die Produktion müsse allerdings „ökologisiert“ werden: So sollte beispielsweise darauf verzichtet werden, die Tiere den Haltungsbedingungen durch Hörner-, Schnäbel- oder Schwanzkürzen anzupassen. Dazu gehöre auch, die Besatzdichten weiter zu verringern und die Anbindehaltung bei den Milchkühen abzuschaffen.
Die deutsche Landwirtschaft sollte verstärkt auf Qualität setzen
Realitätssinn mahnte Dieter Bockhorn an. Der Geschäftsführer des Schlachthof- und Vermarktungsunternehmens Süddeutsche Truthahn AG aus dem oberbayerischen Ampfing sagte: „Die Verbraucherpreise für Fleisch sind in Deutschland – gemessen am Haushaltseinkommen – so niedrig wie fast nirgendwo auf der Welt.“ Gleichzeitig schreite die Flächenversiegelung täglich voran. Nicht zuletzt deshalb stiegen die Preise für Ackerland seit Jahren an: „Folglich wird die deutsche Landwirtschaft künftig nur noch dann wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn sie intensiviert wird und dabei auf Qualität setzt.“ Denn die deutschen Höfe könnten niemals so günstig produzieren wie die osteuropäischen Betriebe, die enorm wachsen. Allein Polen hat seine Putenfleischproduktion in den vier Jahren zwischen 2013 und 2017 um 50 Prozent gesteigert.
Die jungen Landwirte wollen ein realistisches Bild von ihrer Arbeit vermitteln
Die nächste Generation zeigt sich Veränderungen und Lösungsvorschlägen gegenüber sehr aufgeschlossen, reklamierte Dr. Eggert Schmidt, Professor für Tierhaltung an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf: Die Studierenden im Fach Landwirtschaft probierten neue Haltungsformen mit immer mehr Tierwohlaspekten aus. Sie stellen sich offen der gesellschaftlichen Diskussion und wollen, dass die Menschen ein realistisches Bild von der modernen Landwirtschaft erhalten, so Schmidt. Dieses Bild sei allerdings durch Interessengruppen beeinträchtigt, die mit manipulativen Kampagnen gegen die Landwirtschaft und vor allem gegen die fleischerzeugenden Zweige zu Felde ziehen. Weder der Handel noch die Politik hätten angesichts des enormen internationalen Preisdrucks mitgeholfen, eine existenzsichernde langfristige Perspektive für die hochwertige deutsche Putenfleischerzeugung zu entwickeln.
Ein „Runder Tisch Landwirtschaft“ könnte zu einem gesellschaftlichen Konsens beitragen
Auch Putenverbandspräsident Storck diagnostizierte eine Entzweiung von der Landwirtschaft – und zwar nicht nur in der zunehmend städtisch geprägten Bevölkerung in Deutschland, sondern auch bei der Politik. Nur noch 13 der 709 Abgeordneten des Bundestages haben seinen Angaben zufolge einen direkten Bezug zur Landwirtschaft. Die Putenhöfe sieht Storck als Indikator für die gesamte Landwirtschaft. Ähnliche Schwierigkeiten wie in der Truthahnwirtschaft zeigten sich nämlich auch in anderen landwirtschaftlichen Bereichen. Deshalb sei ein gesellschaftlicher Konsens wichtig über die Leistungen und die Bedingungen der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion. In diesem Zusammenhang regte Heinz Bosse, Geschäftsführer des Moorguts Kartzfehn, Europas größter Putenbrüterei, einen „Runden Tisch Landwirtschaft“ an. Hier könnten Lösungen entwickelt werden für Interessensausgleiche zwischen Gesellschaft, Handel, Politik und Erzeugern. Damit die Landwirtschaft nicht das Schicksal teile mit der Textil- oder der Unterhaltungselektronik-Industrie, die aus Deutschland weitgehend verschwunden sind.