IAMO-Direktor beklagt Scheu vor unpopulären Positionen
Eine zunehmende Entscheidungsschwäche in der Agrarpolitik beklagt der Vorsitzende der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus, Prof. Alfons Balmann.
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Im einem Interview mit Agra Europe spricht der Wissenschaftler von einer Tendenz der politischen Akteure, sich vor unpopulären Positionen zu drücken. Er nennt als Beispiel, die Unfähigkeit von Bundesregierung und EU, eine Entscheidung hinsichtlich der weiteren Zulassung von Glyphosat zu treffen. Balmann verweist auf „unnötige und teilweise teure Verzögerungen“, die daraus resultieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarwirtschaft beeinträchtigen könnten.
Wissenschaft sollte sich mehr einschalten
Die Wissenschaft sieht der Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle gefordert, sich weiterhin in die öffentliche Auseinandersetzung um Landwirtschaft einzuschalten. Gleichzeitig habe die Wissenschaft aber nur eine Berater- und Aufklärungs-, jedoch keine Entscheidungsfunktion. Sie könne aber z. B. Behauptungen auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen und Zielkonflikte aufzeigen. „Damit kann sie einem großen Manko vieler öffentlicher Diskussionen entgegenwirken, in denen Zusammenhänge oft nur subjektiv aus dem jeweils eigenen Blickwinkel und vereinfachend betrachtet werden“, so Balmann. Vor allem aber könne Wissenschaft dazu beitragen, dass für neue Lösungen die erforderlichen Grundlagen geschaffen werden, die letztlich im Idealfall über technische oder organisatorische Innovationen die Zielkonflikte verminderten.
Politik zugunsten kleinerer Betriebe verlagert Probleme nur
Balmann sieht begründeten Handlungsbedarf bei einer Reihe derzeit diskutierter Kritikpunkte an der Landwirtschaft, wie etwa in den Bereichen Tierwohl, Biodiversität und Umwelteinträge. Forschungsbedarf bestehe sowohl hinsichtlich sinnvoller technischer Lösungen, wie etwa beim Thema Kastration, als auch zu der Frage, wie man Mehrkosten finanzieren und geeignete politische Rahmenbedingungen schaffen könne, ohne dass die Produktion ins Ausland abwandere.
Nicht zuletzt gehe es darum, soziale Folgen eines vermutlich beschleunigten Strukturwandels zu bewältigen. Dabei müsse die Wissenschaft auch aufzeigen, dass eine kurzfristig orientierte Politik zugunsten kleinerer Betriebe viele soziale Probleme nur in die Zukunft verlagere und sie längerfristig verschärfe. Daneben bestehe eine große Herausforderung darin, der Gesellschaft den Wert von Fortschritten zu vermitteln. Hier habe nicht nur die Landwirtschaft ein Kommunikationsproblem, sondern auch die vor- und nachgelagerte Industrie sowie die Wissenschaft.
Deutsche Agrarökonomie international angesehen
Zufrieden zeigt sich Balmann mit dem Niveau der deutschen Agrarökonomie. Betrachte man die Publikationen in den weltweit bedeutendsten agrarökonomischen Zeitschriften der letzten Jahre, stelle man fest, dass bei etwa 10 % der Artikel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deutscher Einrichtungen beteiligt gewesen oder diese hier ausgebildet worden seien. Für die bedeutendsten europäischen Zeitschriften fänden sich teilweise sogar mehr als doppelt so hohe Anteile. Daneben gebe es vielfältige Publikationen in Journalen anderer Disziplinen.
Zur Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus, die vom 13. bis 15. September in Weihenstephan stattfindet, werden rund 200 Wissenschaftler erwartet. Tagungsthema ist die "Agrar- und Ernährungswirtschaft zwischen Ressourceneffizienz und gesellschaftlichen Erwartungen". Den Rahmen bilden hochkarätig besetzte Plenarveranstaltungen sowie eine abschließende Podiumsdiskussion mit Spitzenvertretern aus Land- und Agrarwirtschaft, Politik und Wissenschaft.