Legehennenhalter: Zwischen Anspruch und Wirtschaftlichkeit
Über 100 Legehennenhalter kamen zum Agravis-Symposium ‚Federweiser‘ in Melle. Die Legehennenhalter stehen auch vor großen Umbrüchen, die dort Thema waren: Das Kükentöten soll beendet werden. Und die Branche verabschiedet sich derzeit von der Schnabelbehandlung.
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Wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung und müssen alle an einem Strang ziehen“, sagte Prof. Dr. Rudolf Preisinger, Chefgenetiker beim Unternehmen Lohmann Tierzucht GmbH, Cuxhaven, angesichts der Forderungen nach einem Ausstieg aus dem Kükentöten und Verzicht auf die Schnabelbehandlung. Die Zucht habe einen Beitrag dazu zu leisten, aber beileibe nicht den einzigen.
Zucht hat Federpicken seit 28 Generationen im Fokus
Die Leistungszucht werde vielfach als Ursache von Federpicken und Kannibalismus angesehen. Dabei kenne man dieses multifaktorielle Geschehen schon viel länger. Und Lohmann züchte schon seit 28 Generationen, um Federpicken zu vermindern. Das Schnabelkürzen war lange die beste Vorbeugemaßnahme. Jetzt würden der Verzicht auf die Schnabelbehandlung und die Tierverluste als Indikatoren für gute Tierhaltung und maximales Tierwohl gelten.
Neues Zuchtmerkmal, um das Risiko von Federpicken und Kannibalismus zu mindern und höhere Tierverluste zu vermeiden, ist die Länge und in Kombination damit auch die Form des Oberschnabels. Die unterschiedlichen Erblichkeiten verschiedener Linien in Bezug auf die Merkmale Schnabelform, Befiederungsnote und Mortalität lassen eine Zucht zu.
Politik schürt unhaltbare Erwartungen
Hinsichtlich der Diskussionen um den Ausstieg aus dem Kükentöten kritisierte der Lohmann-Chefgenetiker, die Politik schüre angesichts der kommenden Bundestagswahl durch falsche Aussagen zum Stand der Forschungen unhaltbare Erwartungen. So sei die als Königsweg betrachtete Geschlechtsbestimmung im Ei ist längst nicht praxisreif und wird es den Aussagen Preisingers zufolge auch 2017 nicht sein. Was sich schon jetzt abzeichne: Die Schlupfrate fällt aufgrund der Untersuchung (Raman-Spektroskopie am geöffneten Ei mit einem 12-mm-Loch in der Schale) um rund 15 % geringer aus. Die Methode sei zwar relativ genau, trotzdem werde es zu 10 % Sexfehlern kommen, d. h. es werden künftig auch Hähne mit aufgezogen. Deren Aufzuchtkosten liegen bei etwa 4 Euro je Tier. Verfahrenskosten, schlechtere Schlupfergebnisse und Sexfehler würden das Küken um rund 80 Cent verteuern.
Management in der Aufzucht und der Legehennenhaltung optimiert
Wie Legehennenherden mit unbehandelten Schnäbeln geführt werden müssen, schilderte Stefan Gerdes, Agravis-Spezialberater für Legehennen und Betriebsleiter der Grafschafter Frischei GmbH & Co. KG. In seinem Betrieb laufen in neun Ställen jeweils 40 000 weiße Legehennen in Bodenhaltung; der Betrieb verfügt zudem über eine eigene Junghennenaufzucht mit 80 000 Plätzen. Gerdes stellte heraus: „Trotz des Schnabelbehandlungsverbots muss die Eiproduktion nach wie vor optimal gestaltet werden und wirtschaftlich bleiben!“
Deshalb erprobte er von Oktober 2014 bis Februar 2016 die Haltung von 5 000 schnabelunbehandelten Hennen in einem separaten Abteil. Das Management wurde gegenüber den herkömmlichen Gruppen mit Schnabelbehandlung nicht verändert. Infolge dessen gingen die Verluste ab 70. Lebenswoche drastisch in die Höhe und lagen in der 85. Woche bei 13,4 % im Vergleich zu den behandelten Legehennen mit 6,7 %.
Im zweiten Projekt werden seit Juli 2015 zwei Ställe mit je 40 000 Legehennen ohne Schnabelbehandlung geführt, sie befanden sich zum Zeitpunkt des Symposiums in der 48. Lebenswoche.
Hier wurde schon in der Aufzucht das Management geändert:
- Blockfütterung: Dadurch lernen alle Hennen von Anfang an, zügig und viel zu fressen. Die Herde wird insgesamt uniformer.
- Häufigere Tierkontrolle: Statt ein- bis zweimal täglich geht der Betreuer drei- bis viermal in unterschiedlicher Kleidung durch den Stall, um die Hennen an die Menschen zu gewöhnen und Stress zu vermindern.
- Direkt mit dem Öffnen der Anlage erhalten die Junghennen Zugang zu Beschäftigungsmaterial wie Luzerne oder Picksteine. Das verteuert die Aufzucht einer Junghenne um 15 bis 20 Cent.
Auch im Legestall gab es Veränderungen:
- Die Tierbeurteilung wird exakter vorgenommen. Wöchentliches Wiegen am gleichen Wochentag um die gleiche Uhrzeit, die Bonitierung der Befiederung durch immer die gleiche Person, die Beurteilung des Herdenverhaltens sind wichtige Parameter. Dadurch entsteht ein Mehraufwand von drei Stunden pro Woche und Stall.
- Den Legehennen wird ständig Beschäftigungsmaterial angeboten. Der Zeitbedarf dafür liegt bei ca. 50 Akh für 10 000 Tiere und Jahr, das Material kostet ca. 30 Cent/Ei.
- Das Lichtregime unterscheidet bei der Tageslichtlänge (14 Stunden plus Dimmphase) nicht zwischen unbehandelten und behandelten Herden. Nach einem langsamen Start zu Legebeginn wird jedoch, je nach Anzahl verlegter Eier, bei den unbehandelten Tieren die Lichtintensität ab der Legespitze heruntergedreht und – falls erforderlich – alle 10 bis 15 Wochen weiter gesenkt.
- Wichtig sind auch Futter und Wasser: Hier gilt es, sanfte Futterwechsel vorzunehmen, Impfungen nicht gleichzeitig durchzuführen und ein weiter optimiertes Futterkonzept mit ausreichend Mineralstoffen, Struktur und Protein zu fahren. Der Rohfaser kommt besondere Bedeutung zu, um das Mikrobiom im Darm zu fördern. Wasser gibt es ad libitum.
- Die Blockfütterung wird auch bei den Legehennen mit Erfolg angewandt.
Vergleich mit Parallelstall schnabelbehandelter Tiere
Der Vergleich mit einem Parallelstall schnabelbehandelter Hennen zeigt: Die Legeleistung liegt um – 0,8 % (etwa fünf Eier) niedriger. Jedoch sind die Eier etwas schwerer, beim Eigewicht beträgt die Differenz +1,5 %. Unbehandelte Hennen verbrauchen aber etwas mehr Futter (125 g/Tier gegenüber 118 g/behandelte Henne).
Stefan Gerdes fasst seine Erfahrungen so zusammen: „Die Haltung von nicht schnabelbehandelten Legehennen ist möglich. Sie erfordert aber betriebsindividuelle Lösungen.“
- Verzicht auf das Schnabelkürzen: Mit Einbußen ist auf jeden Fall zu rechnen. Prof. Preisinger ging darauf genauso ein wie auf die Alternativen Aufzucht der männlichen Legeküken und Zweinutzungshühner.
- Möglichst viel heimisches Futter - wo liegen die Grenzen? Diese Frage beantwortete Andreas Bußmann-Dopp, Geschäftsführer der Agravis Mischfutter Westfalen GmbH.
- Dr. Hajo Schumacher, Publizist und Medieninsider aus Berlin, appellierte an die Legehennenhalter, sich bei landwirtschaftlichen Themen in der öffentlichen Diskussion nicht wegzuducken, aber auch nicht auf der eigenen Meinung zu beharren. Stattdessen riet er zu einer Mehrwegestrategie aus Transparenz, proaktivem Themensetzen, Lobbyarbeit und unverwechselbaren Markenprodukten.
Zu diesen Themen lesen Sie mehr im ausführlichen Tagungsbericht in der DGS 24/2016. Und hier geht es zu einem Bericht der Agravis und zu den Präsentationen aller Referenten.