Kükentöten mit Tierschutzgesetz vereinbar
Jetzt steht es fest: Eintagsküken aus wirtschaftlichem Grund zu töten ist ein vernünftiger Grund und daher mit dem Tierschutzgesetz zu vereinbaren.
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In einer als Grundsatzurteil bewerteten Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am 20. Mai 2016 festgestellt, dass die derzeitige Praxis der Tötung männlicher Eintagsküken der Legehennenrassen nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt und mithin ein vernünftiger Grund im Sinne des Gesetzes gegeben ist. Ein entsprechender Erlass des nordrhein-westfälischen Agrarministers Johannes Remmel ist damit als rechtswidrig eingestuft worden. Gegen das Urteil wurde keine Revision zugelassen.
Das Verwaltungsgericht Minden hatte in der Vorinstanz gleichlautend entschieden. Dagegen hatten die Kreise Gütersloh und Paderborn Berufung eingelegt; sie hatten zuvor eine entsprechende Weisung des NRW-Ministers umgesetzt und zwei Betreiber von Brütereien aufgefordert, diese Praxis zu beenden. Die Betriebe setzten sich gerichtlich zur Wehr und wurden in ihrer Auffassung jetzt auch in der Berufungsverhandlung durch das OVG bestätigt. Das Urteil hat Signalwirkung und geht in dieselbe Richtung wie ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm vom 10. Mai 2016, das in einem anderen Fall die Anklage der Staatsanwaltschaft Münster gegen den Betreiber einer Brüterei in Senden nicht zur Hauptverhandlung zugelassen hatte: Das OLG hatte festgestellt, dass eine Strafbarkeit des Kükentötens aus der geltenden Rechtslage nicht abzuleiten sei (siehe DGS 11/2016, S.2).
Gericht befasste sich ausführlich mit derzeitigem Forschungsstand
Ungewöhnlich ausführlich befasste sich das OVG mit den derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Eingehend beschrieb Richter Franz Oestreich den derzeitigen Stand der Forschungen zur Früherkennung des Geschlechtes im Brutei sowie die züchterischen Möglichkeiten (Zweinutzungshuhn), die Marktsituation und die Nachfrage der Verbraucher nach vielen und möglichst günstigen Eiern sowie den dadurch entstehenden „Zielkonflikt“ zwischen wirtschaftlichen Gesichtspunkten und menschlichen Nutzungsinteressen, wirtschaftlichen sowie ethischen Aspekten. Hierbei gelte es abzuwägen, ohne dass einem der Belange ein strikter Vorrang einzuräumen sei. Weil es derzeit keine Alternativen zu diesem jahrzehntelang praktizierten und geduldeten Verfahren gebe, bleibe die Brütereien keine andere Möglichkeit. Technische Verfahren, um nur noch Eier mit weiblicher DNA auszubrüten, seien noch nicht praxistauglich. Die Aufzucht der männlichen Küken einer Legelinie sei den Brütereien nicht zuzumuten, denn es gebe dafür keinen Markt. Bruderhähne seien höchstens ein Nischenprodukt. Die Tötung der Küken sei daher Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch.
Der Richter wies auch darauf hin, dass es in diesem Verfahren nicht um eine moralische Beurteilung gehen dürfe, sondern einzig und allein um die Frage, ob die Brütereien sich gesetzeskonform verhalten, wenn sie Eintagsküken töten. Erforderlich sei eine Objektivierung nach gesetzlichen Normen, sagte Oestreich.
"Es gibt einen vernünftigen Grund für die jetzige Praxis!"
Prof. Martin Beckmann, der die beiden klagenden Brütereien vertrat, hob im Gespräch mit der DGS hervor: „Es ging in diesem Verfahren nicht nur darum, ob diese NRW-Rechtsverordnung rechtswidrig ist, sondern das OVG hat klar gesagt: Es gibt für die jetzige Praxis einen vernünftigen Grund. Da ist nichts rechtswidrig, da ist nichts zu beanstanden.“ Wenn es für die Bruderküken keine wirtschaftlich vertretbare Möglichkeit gebe, sie aufzuziehen, dann sei es vernünftig, sie gar nicht erst großzuziehen. Im Übrigen hätten Übergangsfristen für das Oberverwaltungsgericht keine Rolle für diese grundsätzliche Entscheidung gespielt.
Der Anwalt der Brütereien sieht damit ein Ende des Rechtsstreits gegeben. Das Urteil aus NRW habe bundesweite Wirkung, denn es gehe um eine einheitliche Auslegung eines Bundesrechts, sprich des Tierschutzgesetzes. Beckmann geht davon aus, dass es wohl keine Untersagungsverfügungen mehr geben wird, denn auch andere Gerichte in Nord- und Süddeutschland hätten so entschieden.
Tierschutzbund: Freiwillige Vereinbarungen sind nicht ausreichend
Vertreter des Deutschen Tierschutzbundes, die in Münster in Verkleidung demonstrierten, zeigten sich enttäuscht von dem Urteil. Pressereferentin Lea Schmitz sagte, jetzt sei die Politik, allen voran Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, gefordert, der millionenfachen „Ermordung“ von Hühnerküken ein Ende zu bereiten. Die von Schmidt favorisierte Früherkennung des Geschlechts im Brutei könne aber nur ein erster Schritt sein. Notwendig seien eine Änderung des „kaputten Systems“, eine Änderung des Tierschutzgesetzes und eine politische Förderung des Zweinutzungshuhns. Freiwillige Vereinbarungen der Branche seien gut, aber nicht ausreichend. Der Gesetzgeber müsse regelnd eingreifen.