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Tierwohl als zentrales Leitprinzip

Die deutsche Geflügelwirtschaft verzichtet ab 2017 auf das Schnabelkürzen bei Legehennen. Die DGS sprach darüber mit Leo Graf von Drechsel, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft.
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DGS: Die Geflügelbranche hat am 9. Juli 2015 mit dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Chris­tian Schmidt, eine gemeinsame Vereinbarung unterzeichnet. Was sind die wichtigsten Punkte daraus?

Leo Graf von Drechsel: Die deutsche Geflügelwirtschaft verzichtet damit künftig auf das Schnabelkürzen bei Legehennen. Die Vereinbarung mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft haben der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft, der Bundesverband Deutsches Ei sowie der Verband Deutscher Putenerzeuger unterzeichnet. Damit verpflichtet sich die Geflügelwirtschaft, ab dem 1. Januar 2017 in Deutschland auf die Einstallung von schnabelgekürzten Junghennen zu verzichten. Das bedeutet, dass den für diese Haltung vorgesehenen Legehennen-küken ab dem 1. August 2016 die Schnäbel nicht mehr gekürzt werden.

Zudem strebt die Geflügelwirtschaft auch einen Verzicht auf das Kürzen der Schnäbel von Putenhennen an. Hierfür ist angesichts noch unvollständiger wissenschaftlicher Erkenntnisse jedoch eine in der Vereinbarung definierte Prüf- und Evaluierungsphase unabdingbare Voraussetzung.

Außerdem verpflichtet sich die deutsche Geflügelwirtschaft, das Töten männlicher Eintagslegeküken zu beenden, sobald die automatisierte „In-ovo-Geschlechtsbestimmung“ ihre technische und wirtschaftliche Praxistauglichkeit erwiesen hat. Dieses Verfahren soll dann unverzüglich in allen Brütereien bei der Vermehrung von Legehennen eingesetzt werden.

 

DGS: Der Ausstieg aus dem Schnabelkürzen ist ein großer Schritt für die deutsche Geflügelwirtschaft. Warum nun die freiwillige Selbstverpflichtung dazu?

Graf von Drechsel: Diesen Schritt gehen wir, weil Tierwohl zentrales Leitprinzip der Branche ist und sein muss. Ebenso wie ein stetiger Veränderungswillen – wir begreifen uns als einen aktiven, ­konstruktiven, fortschrittlichen Partner. Bundesagrarminister Christian Schmidt setzt auf den Grundsatz der „verbindlichen Freiwilligkeit“, der uns sehr entgegenkommt. Denn die Politik sollte Lösungen mit der Wirtschaft suchen, statt auf Ordnungsrecht zu setzen. Das ist aus unserer Sicht genau der richtige Weg. Entsprechend sind wir auch bereit, bei gesellschaftspolitisch kritischen Fragen Veränderungen herbeizuführen. Deswegen haben wir die Vereinbarung unterzeichnet – eine Vereinbarung, die in vielerlei Hinsicht wegweisend ist: Wir setzen auf eine brancheneinheitliche Lösung statt auf Stückwerk.

Die heutige Vereinbarung ist zudem im Gesamtkontext der Geflügel-Charta zu sehen. Seit Jahresbeginn entwickeln wir diese als Branchenselbstverpflichtung unter Beteiligung der gesamten Geflügelwirtschaft. Mit der jetzt getroffenen Vereinbarung gehen wir den ersten sehr wichtigen Schritt auf dem Weg zur Geflügel-Charta. Die gesamte Selbstverpflichtung stellen wir im Herbst dieses Jahres vor.

Und wir sehen uns als Vorreiter für andere Länder, namentlich für die Niederlande, die jedes Jahr Millionen von Eiern nach Deutschland liefern.

DGS: Dann muss aber auch der Handel mit ins Boot.

Graf von Drechsel: Ja, der Weg darf nämlich mit der Vereinbarung nicht zu Ende sein. Wir brauchen eine EU-weite Harmonisierung bei den Regelungen zum Schnabelkürzen, Tierwohl muss mit Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen. Das haben wir auch dem Minister verdeutlicht.
Auch der Handel sollte die Vereinbarung zustimmend und wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Legehennenhalter brauchen Verlässlichkeit und Planbarkeit. Und sie brauchen eine entsprechende finanzielle Honorierung! Die zusätzlichen Aufwendungen sind ein echter Kraftakt und kosten Geld. Tierwohl ist eben nicht zum Nulltarif zu haben.

Der Minister hat der Branche ausdrücklich seine aktive und konkrete Unterstützung bezüglich der EU-Harmonisierung und der Ansprache des Handels zugesagt. Wir haben seine Ankündigung sehr begrüßt, eine intensive Informations- und Aufklärungsarbeit in Richtung Handel und Konsument voranzutreiben. Er hat betont, dass die Geflügelwirtschaft hier in Vorleistung gehe und ein ökonomisches Entgegenkommen verdiene, denn ein Mehr an Tierwohl bedeute zwangsläufig einen Kostenanstieg.

DGS: Der Verzicht auf das Schnabelkürzen bei den Legehennen soll schnell umgesetzt werden. Halten Sie das für machbar?

Graf von Drechsel: Auf das Schnabelkürzen zu verzichten, das ist durchaus eine große Herausforderung für unsere Legehennenhalter. Es bleibt ein nicht unerhebliches Restrisiko. Federpicken und Kannibalismus sind Verhaltensstörungen, die für Geflügel schon in Fachbüchern aus dem 18. Jahrhundert beschrieben sind. Das Verhalten kommt in allen Haltungsformen vor, in der Bodenhaltung genauso wie in der ökologischen und Freilandhaltung. Eine wirkliche Lösung, dieses Verhalten zu unterbinden, gibt es nicht. Die haben auch die Experten aus der Wissenschaft noch nicht entwickelt.

Ganz wichtig und aus unserer Sicht absolut unverzichtbar ist daher, dass die Vereinbarung Maßnahmen für den Notfall vorsieht, wenn es in einer Herde doch zu diesen Verhaltensstörungen kommt. Der Halter muss hier aktiv eingreifen können, er kann nicht tatenlos zusehen. Besondere Relevanz hat hier der Faktor Licht: Studien belegen, dass Federpicken und Kannibalismus deutlich abgeschwächt werden können, wenn man die Lichtintensität anpasst. Deswegen sieht die Vereinbarung ausdrücklich vor, dass der Halter gemeinsam mit dem Tierarzt die Lichtintensität anpassen kann. Das ist aus unserer Sicht genau richtig so, das ist praktizierter Tierschutz!

DGS: Wie ist der „Fahrplan“ für den Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bei den Puten?

Graf von Drechsel: Für die Mast von Putenhennen wird eine Evaluierung zur Prüfung der Machbarkeit vorgeschaltet, die Ende 2017 erfolgen soll. Erst wenn die Evaluierung dies rechtfertigt, soll ab 1. Januar 2019 in der Mast von Putenhennen in Deutschland auf die Einstallung schnabelgekürzter Tiere regelmäßig verzichtet werden. Der Verzicht auf das Schnabelkürzen soll auch bei der Mast von Putenhähnen langfristig erfolgen.

Bis zum Verzicht auf das Schnabelkürzen bei Puten und in Fällen, in denen die Unerlässlichkeit des Eingriffs glaubhaft dargelegt ist, verpflichtet sich die deutsche Geflügelwirtschaft dazu, das Schnabelkürzen ausschließlich in Brütereien am ersten Tag nach dem Schlupf vorzunehmen und nur über das Infrarot-Verfahren.

Die Forschung zum Federpicken und Kannibalismus bei Puten wird natürlich fortgeführt. Es soll auch analog zur Legehennenhaltung Modell- und Demonstrationsvorhaben in der Praxis geben.

DGS: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Die Fragen stellte Susanne Gnauk, Redaktion DGS.